Flashback: Ein Blick ins All, heute vor zehn Jahren

Der 7. Januar 2025 war für mich ein ganz besonderer Tag, denn mein damaliger Kollege Martin Holland und ich hatten eine Verabredung mit Alexander Gerst. Der war im November des vorangegangenen Jahres nach 165 Tagen im All wieder auf die Erde zurückgekehrt und hatte seitdem einen vollen Terminkalender – denn natürlich waren wir nicht die einzigen Journalisten, die ihn unbedingt interviewen wollten.

Das Transkript (eines Teils) unseres Gesprächs war dann in der Make-Ausgabe 1/15 zu lesen. Dies war die erste Ausgabe des Magazins nach dem Namenswechsel von c’t Hacks zu Make, bei der nur der neue Name darüber stand; außerdem war die gesamte Gestaltung des Hefts frisch überarbeitet worden. Das Layout des Gerst-Interviews reizte deren Rahmen ziemlich aus, war in meinen Augen ziemlich gelungen und deshalb bin ich froh, dass man sich den Artikel als PDF kostenlos herunterladen kann. Alternativ gibt es das Interview auch online; dazu den zweiten Teil, der damals nicht bei Make, sondern unter der Marke c’t beziehungsweise heise online erschien.

Das Interview fand standesgemäß im Astronautenzentrum der ESA in Köln-Porz statt, das wir vor und nach unserem etwa einstündigen Gespräch noch ausführlich besichtigen konnten, ebenso die Anlagen des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf demselben Gelände – die Eindrücke davon hat Martin Holland in einem weiteren Online-Artikel und einer Bilderstrecke festgehalten.

Gagarin in Bronze

Ein wenig überrascht war ich seinzerzeit schon, auf dem weitläufigen Areal auf eine Büste des sowjetischen Kosmonauten Juri Gagarin zu stoßen. Weil damals 3D-Scan mittels Photogrammetrie eines der Themen war, mit denen ich mich für Make beschäftigte, habe ich die kurze Wartezeit genutzt, die Büste einmal umkreist und davon eine Video mit dem Smartphone gedreht, aus dem ich dann später eine Serie von Standbildern exportiert habe, die ich dann in die längst nicht mehr verfügbare Gratis-App 123D Catch von Autodesk einfütterte. Das Ergebnis war mäßig, aber damals fühlte es sich wie Science-Fiction an, dass man jetzt im Vorbeigehen mit seinem Telefon die Form eines Objekts in 3D einfangen kann …

Später wurden die kostenlosen Photogrammetrie-Apps besser und ich benutzte den alten Gagarin-Bildersatz für den direkten Vergleich. Mit Trnio funktionierte die 3D-Rekonstruktion ein paar Jahre später gleich viel besser, vor allem, wenn man sich aus der Fotoserie gleich noch eine Oberflächentextur erstellen ließ:

Dem ersten Menschen im Weltall in Köln ein Denkmal zu setzen, hätte vor 1990 sicher für weltanschauliche Diskussionen gesorgt, denn der war schließlich ein Vorzeige-Held der Sowjetunion. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs im Astronautenzentrum war die Zusammenarbeit mit Russland in der Raumfahrt und besonders auf der ISS allerdings schon so etwas wie Routine, allen massiven politischen Konflikten auf der Erde zum Trotz. Und die waren damals schon unübersehbar – zur Erinnerung: Die Annektion der Krim durch Russland war da noch nicht mal ein Jahr her.

Doch Kooperationen im All hat es sogar schon zu den Hochzeiten Zeiten des kalten Kriegs gegeben, darauf machte mich meine Frau gerade aufmerksam: Beim sogenannten Apollo-Sojus-Test-Projekt kam es 1975 zum Rendezvous zwischen einer sowjetischen und einer US-amerikanischen Raumkapsel sowie deren Besatzungen in rund 200 Kilomentern über Grund. Allerdings wurde diese Kooperation nicht fortgesetzt, solange die UdSSR existierte und für die Amerikanern war dies bis zum Start des Shuttle-Programms erst mal die letzte bemannte Raumfahrtmission.

Zurück in der Realität

Das Datum unseres Treffens mit Alexander Gerst und unseres Besuchs im Astronautenzentrum bleibt mir allerdings aus einem ganz anderen Grund dauerhaft präsent: Als wir nach unserem Besuch an der Haltestelle am Tor zum ESA- und DLR-Gelände auf den Bus warteten, war ich so voller Eindrücke und müde von diesem ereignisreichen Tag und starrte nur noch Löcher in die Luft (oder besser: das All über unseren Köpfen). Der Kollege Martin Holland, ganz Nachrichtenredakteur, warf einen Blick in sein Smartphone – und fand dort vage, aber sehr beunruhigenden Nachrichten: Etwa schlimmes war in Paris passiert, genaues war noch nicht zu erfahren. Das stellte sich dann kurz darauf heraus und es ist heute ebenfalls zehn Jahre her: Der islamistisch motivierte Terroranschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo.

Video – mein neues altes Medium

Bis vor gut sechs Wochen war ich stellvertretender Chefredakteur der Make – Deutschlands gefährlichstem DIY-Magazin; jetzt mache ich beruflich was ganz anderes. Artikel habe ich immer sehr gerne geschrieben (anderfalls hätte ich wohl auch nie dieses Blog angefangen), aber leider brachte die leitende Tätigkeit für mich mit sich, dass ich immer weniger selbst geschrieben, dafür mehr redigiert und vor allem viel mehr organisiert und auch in Sitzungen gesessen habe. Trotzdem ist über die Jahre natürlich einiges zusammengekommen, was online gegegangen ist und über dem ich (zumindest als Mit-)Autor stehe. Eine umgekehrt chronologische Liste (das neueste steht oben) gibt es auf meiner Autorenseite bei heise online.

Video als Spielwiese

Ein paar dieser Beiträge bestehen in erster Linie aus einem Video mit etwas Text drumherum. Tatsächlich waren für mich diese Videos, die ich in meiner letzten Zeit bei Make zwischendrin immer mal wieder mal machen konnte, für mich sehr befriedigend: Denn bei diesen kurzen Filmen habe ich alles selber gemacht, mir ein Konzept für den Ablauf ausgedacht, den Text fürs Skript geschrieben, Bild und Ton aufgenommen und das ganze am Ende geschnitten. Deshalb fühlen sich die fertigen Filme für mich auch ein wenig an wie abgeschlossene Werke – auch wenn ich Werk als Begriff zu hochtrabend finde, es geht ja nicht um Kunst, sondern um Gebrauchsfilme. Aber auf einige davon bin ich ehrlich stolz.

Hier ist mein letztes Make-Video, bei dem es um den Test eines smarten Lineals ging, den NeoRuler von Hozo Design, der mich am Ende aber nicht wirklich überzeugt hat:

Gedreht habe ich übrigens in den letzten Jahren fast ausschließlich mit meinem jeweils aktuellen Smartphone, in diesem Fall ist das ein Fairphone 5. Als App nehme ich im Prinzip immer noch gerne Filmic, früher in der Pro-Version, inzwischen als Filmic Legacy, denn der Hersteller hat stillschweigend sein Geschäftsmodell vom Einmalkauf zum Abo-Modell geändert und was der jetzt monatlich haben will, ist für mich als Gelegenheitsnutzer leider viel zu teuer. Hingegen kostet die Schnittsoftware DaVinci Resolve kein Geld – aber eine Menge Einarbeitungszeit habe ich durchaus investiert. Ich finde aber, das hat sich gelohnt.

3D-Scanner im 2D-Video

Mehr Spaß mit meinen Testgeräten als beim (doch nicht so) smarten Lineal hatte ich bei den insgesamt drei 3D-Scannern, die ich in zwei Videos ausführlich vorgestellt habe. Es geht dabei um die Modelle Pop 2 sowie Mini des Herstellers Revopoint und das Open-Source-Projekt OpenScan Mini:

Die Unboxing- und Montagesequenzen sind dabei am Video-Arbeitsplatz in der Make-Redaktion entstanden, wo es fest installierte Kameras und Leuchten gibt, die auf den Arbeitstisch gerichtet sind – so etwas erleichtert die Dreharbeiten deutlich. Den NeoRuler-Film habe ich hingegen komplett im „Home Studio“ gedreht, genauer gesagt zum Teil auf dem Schreibtisch und zum anderen auf dem Esstisch. Einzige Ausnahme: Das Intro und das Fazit, bei dem ich im Bild bin, hat meine Kollegin Dunia im Make-Labor gefilmt. Sowas ist tatsächlich viel einfacher, wenn man ein Gegenüber hat, das die Kamera hält. Lustiger ist es auch.

Schneller produziert

Solche Produkt-Test-Videos bedeuten natürlich eine Menge Aufwand, denn manchmal ist es gar nicht so einfach, die Funktion der Geräte anschaulich im Film einzufangen. Damit man das Lichtmuster der 3D-Scanner real erahnen kann oder damit die Anzeige des Blinkenlights-Lineals im Video nicht zu sehr flackert (was sie bei der Wahrnehmung mit dem bloßen Auge aufgrund dessen Trägheit überhaupt nicht tut), waren doch einige Experimente mit Bildwiederholraten und Beleuchtung nötig.

Die Datenmodelle, die aus den 3D-Scannern kamen, habe ich zudem in Blender importiert und so gerendert, dass man die Unterschiede sehen kann und zum Teil die Ergebnisse auch noch interaktiv drehbar bei Sketchfab hochgeladen – auch das kostet natürlich alles Zeit.Funktioniert aber auch hier, weil es so schön ist:

Am Ende kostete der Schnitt natürlich auch noch viele Stunden. Um das alles zu beschleunigen, habe ich mir bei jedem Video aufgrund der bisherigen Erfahrungen aufs Neue überlegt, wie ich am besten vorgehe: Erst den Text schreiben und dann Bilder dazu drehen? Erst die Bilder machen und schneiden, dann einen Text dazu aus dem Off live einsprechen? Den Rohschnitt machen und dann einen Text dazu schreiben und den in Ruhe einsprechen? Ich habe alles probiert und in der Summe machte das alles zeitlich kaum einen Unterschied: Jedes der drei oben gezeigten Videos dürfte am Ende etwa 25 bis 35 Stunden Arbeitszeit gekostet haben.

Schneller gibt es bei zwei einfacheren Videos. Das erste erschien in der Vorweihnachtszeit 2022 und zeigt Last-Minute-DIY-Geschenke von und für Maker. In meinem Video darin ging es darum, wie man etwa aus alten Kalenderblättern hübsche Faltschachteln für Kleinigkeiten herstellen kann:

Noch kompakter ist dieser Einspieler aus der „Entertainmentshow“ der virtuellen Maker Faire Hannover 2021 – es war mitten in Corona (und an Friseurbesuche nicht zu denken, wie man an meinen Haaren sieht):

 

Die Begrüßungssequenz am Anfang ist bei einem der seinerzeit seltenen Besuche im Büro entstanden, gedreht habe ich mit meinem damaligen Nokia 7 Plus und den Ton habe ich notgedrungen mit dem eingebauten Mikro aufgenommen. Für die Stimme aus dem Off beim eigentlichen Tutorial (die ja deutlich anders klingt) habe ich das Mikro eines wirklich guten Headsets benutzt, aber das viel zu dicht am Mund platziert, sodass ich klinge, als hätte ich eine Wäscheklammer auf der Nase. Anfängerfehler. Apropros: Ich bekomme es gerade nicht hin, das Video der kompletten Entertainmentshow von YouTube mit Timecode einzubetten (mein Auftritt ist nämlich erst bei 2:30:18), deshalb habe ich oben einen Ausschnitt aus der Show einmontiert.

Be kind: Rewind

Spulen wir mal weiter zurück: Es war 2015 und noch ein Smartphone vorher (Google Nexus 5) und ich hatte mich auf die Ideen Expo in Hannover verirrt, eine mehrtägige Messe für Schülerinnen und Schüler, die dort für eine berufliche Zukunft in technischen Bereichen begeistert werden sollen. Dort zeigte die Hochschule Jade eine komplett aus Lego gebaute und mit Mindstorms gesteuerte Produktionsstraße für Papierwürfel, deren zentrale Arbeitsgänge ich in zwei Filmschnipseln festgehalten habe:

Seltsamerweise sind die beiden Clips in meiner Online-Geschichte dazu gar nicht (mehr) verlinkt, nur in einer Bildunterschrift erwähnt, auf YouTube haben sie aber inzwischen jeweils weit über 30.000 Klicks gesammelt, im Lauf von neun Jahren natürlich. Meine erfolgreichsten Videos bisher (und das werden sie wahrscheinlich auch auf Dauer bleiben …).

Heute ist es mir eher peinlich, dass ich nicht wenigstens ein Video aus den beiden Teilen zusammengefügt habe, dazu ein paar Standbilder reingeschnitten und eine Texttafel vornedran und am Ende – und dann auch noch der miese Ton …! Aber wahrscheinlich musste es (wie immer) alles ganz schnell gehen.

Schnitt. Nochmal fast zwanzig Jahre früher: Damals, Mitte der 90er, war Videoproduktion noch viel mühsamer, denn man filmte auf Magnetbändern und verbrachte sehr viel Zeit beim Schneiden mit dem Spulen, bis man an der richtigen Stelle für einen Schnitt war. Tatsächlich habe ich Filmen und Schneiden noch in der analogen Zeit gelernt, an der Hochschule für Künste in Bremen – aber das ist mal ein Thema für einen eigenen Artikel hier im Blog. Nur noch soviel: Damals zählte Video zu den neuen Medien und deshalb ist Video, wie die Überschrift sagt, für mich ein altes neues Medium – oder eben umgekehrt: Weil es jetzt auf jeden Fall eines ist, was nicht mehr Teil meines Jobs ist. Aber mal schauen, was noch daraus so wird.

Mit Volldampf nach Transsylvanien

„3 Mai. Bistritz. Verließ München um 8:35 am Abend am ersten Mai und kam früh am nächsten Morgen in Wien an; ich hätte um 6 Uhr 46 dort sein sollen, aber der Zug hatte eine Stunde Verspätung. Budapest scheint eine wundervoller Ort zu sein, nach dem zum schließen, was ich aus dem Zug und auf den wenigen Schritten durch die Straßen sehen konnte. Ich hatte Bedenken, mich weit vom Bahnhof zu entfernen, da wir spät angekommen waren und so dicht wie möglich an der vorgesehenen Zeit wieder weiterfahren würden. […]

Ich musste mich beim Frühstück beeilen, weil der Zug kurz vor acht ging, oder eher: weil er dann gehen sollte, denn nachdem ich zum Bahnhof geeilt war, saß ich über eine Stunde im Wagen, bevor er sich in Bewegung setzte. Mir scheint, je weiter man nach Osten kommt, desto unpünktlicher werden die Züge. Wie muss es erst in China sein?“

Auch wenn es auf den ersten Blick so klingt: Der umgeduldige Verfasser dieser Zeilen ist nicht Phileas Fogg, der mit der Präzision eines Uhrwerks und unter Nutzung der seinerzeit modernsten Verkehrsmittel in 80 Tagen um die Welt eilt, um die von Jules Verne ausgedachte Wette zu gewinnen – nein, wer sich hier über die Pünktlichkeit der Bahn im ausgehenden 19. Jahrhundert beklagt, ist ein gewisser Jonathan Harker, seines Zeichens Immobilienmakler auf dem Weg nach Rumänien, nach Transsylvanien, zum Schloss des Grafen Dracula.

Würde ein Schriftsteller von heute die berühmteste Vampirgeschichte der Weltliteratur mit solchen trockenen Notizen zu Verspätungen im Bahnverkehr beginnen lassen, anstatt gleich in den ersten Sätzen ein düsteres Schloss aus einem geisterhaft vom Vollmond beschienenen Winterwald heraussteigen zu lassen oder zumindest eine fauchende Dampflok wie ein feuerspeiendes Höllentier ein finsteres Gebirge erklimmen lassen? Wahrscheinlich eher nicht.

Doch der der Ton, den Bram Stoker bereits auf den ersten Seiten seines bekanntesten Buches Dracula anschlägt, hat tatsächlich Methode – denn die (menschlichen) Protagonisten seines 1897 veröffentlichten Romans bedienen sich bei ihrem Kampf gegen den untoten Grafen allerlei Technik auf der Höhe ihrer Zeit: So ist Jonathan Harker – solange möglich – mit der Bahn unterwegs und bedient sich bei seinen Aufzeichnungen der Kurzschrift; Dr. Seward und Van Helsing kommunizieren per Telegramm und zeichnen sogar Sprachnachrichten und Tagebuchnotizen per Phonograph auf. Bei der Fahndung  nach dem in London untergetauchten Vampir helfen Zeitungsberichte über seltsame Vorkommnisse und letztendlich hilft Lloyd’s Register of Shipping, das Schiff zu verfolgen, auf dem der Graf vor seinen Häschern wieder in Richtung Trassylvanien flieht …

Insofern ist Dracula eine Geschichte über den Sieg von Technik und Wissenschaft über den Horror, der aus dem längst überwundenen Mittelalter auf untote Weise überlebt hat, eine Erzählung von der Überlegenheit der Empirie über die Vampirie. Unterstützt wird dies durch die gewählte Form, denn es handelt sich bei diesem Buch um eine Dokumentationsfiktion (heute würde man wohl eher „Mockumentary“ sagen): Der Roman besteht ausschließlich aus aneinandergereihten Auszügen aus Tagebüchern und Sprachnotizen, Zeitungsartikeln, Telegrammen und Briefen.

Für die Zeitgenossen hat sich das sicher ungeheuer modern gelesen. Aus heutiger Sicht ist die dort aufgefahrene Technik aber gerade zum Sinnbild der Nostalgie geworden: Dampflokomotiven, Telegramme, Phonographen, gedruckte Zeitungen und Dampfschiffe – eigentlich schon die komplette Ausstattung für eine Steampunk-Geschichte.

Inktober 2018 – Schluss mit Ford Model T

Auch in diesem Jahr wollte ich eigentlich beim Inktober mitmachen – aber schon nach ein paar Tagen war klar, in diesem Jahr klappt es nicht. Ich hakte die Zeichenaktion im Kopf damit für diesmal ab – jedenfalls fast. Denn dann stolperte ich kurz vor Ende Oktober (pardon: Inktober) in einem Technikgeschichten-Buch über das folgende Foto, das mich sofort ansprach, weil es ganz offensichtlich authentisch aus den 20er oder 30er Jahren stammt, aber irgendwie wie ein Cartoon wirkt. 

Grandpa's first car, Model T coupe,with artillery wheels Edward a O'D

Es zeigt ein Ford Model T Coupé. Das bedeutet, dass die auf dem Bild gezeigte Person nicht auf einen Rücksitz gezwängt sitzt, sondern dass es der Fahrer selbst ist, der hier lässig seinen Ellenbogen aus dem Fenster hängt. Dabei handelt es sich übrigens um den Großvater jener Person mit dem Aliasnamen Jnarrin, der dieses Bild bei Wikimedia hochgeladen und freundlicherweise unter eine Creative-Commons-Lizenz gestellt hat. Danke dafür!

Blech statt Speichen

Ungewöhnlich am Auto auf dem Foto sind die Felgen aus Blech, dem Schatten nach zu urteilen leicht trichterförmig getrieben oder gepresst. Das Standard-T-Modell hatte hingegen meist Räder mit zwölf dickeren Speichen, die auch Artillery Wheels genannt werden, weil sie ursprünglich für Kanonenlafetten entwickelt wurden. Bei späteren T-Modellen gab es dann auch Drahtspeichenräder.

Möglicherweise waren es die sehr flächigen Räder und dadurch sehr prägnanten Kreisformen auf dem Foto, die mich auf die Idee brachten, dann doch noch eine erste und gleichzeitig letzte Zeichnung zum Inktober 2018 zu machen. Passenderweise war es inzwischen der 31. Oktober, der in Niedersachsen neuerdings Feiertag ist, ich hatte also Zeit, und so entstand mein Symbolbild für den gescheiterten Inktober.

https://www.instagram.com/p/BpnNbUPAr2f/?utm_source=ig_web_copy_link

Ja, das gezeigte Auto ist kein ganz echtes T-Modell und nur inspiriert durch das Foto, keine Kopie. Schon die ersten Skizzen ergaben, dass ich die Form des Autos etwas verändern musste, um die zentrale Idee umzusetzen und ein offenbar  defektes Auto auf den „InktOber“-Schriftzug aufzubocken, wobei das Hinterrad das große „O“ bildet. Vor allem wanderte das Hinterrad ein Stück nach vorne und ich habe mir einen Kofferaum mit Ersatzrad drauf ausgedacht, der hoffentlich den Eindruck eines prototypischen Oldtimers verstärkt.

Wenn ich etwas technisches aus vergangenen Zeiten zeichne, dann wächst währenddessen unweigerlich mein weitergehendes Interesse am Gegenstand, und so war es auch beim Ford Model T. Klar, viele wissen, dass es das erste in großer Serie produzierte Auto war, dass man es in jeder Farbe haben konnte, Hauptsache schwarz, und dass das Vehikel auf den Spitznamen „Tin Lizzy“ („Blechliesel“) hörte. Doch beim Festlesen im Internet stieß ich noch auf ein paar Aspekte, die mir tatsächlich neu waren – und überraschend.

Nachhaltiges Massenprodukt

So war die Konstruktion mit Bedacht so einfach, aber robust ausgeführt, dass sich das Model T nicht nur beliebig modifizieren, sondern auch ohne Spezialwerkzeuge einfach reparieren ließ, mit Ersatzteilen, die der gewöhnliche Eisenwarenhandel in den USA auf Lager hatte oder zumindest bestellen konnte. Technisch war das über 19 Jahre gefertigte Auto zwar schnell überholt, aber durchaus auf nachhaltige Nutzung getrimmt – davon könnten sich heutzutage die Autobauer mal eine Scheibe abschneiden. Trotz seines niedrigen Preises – 1914 wurde der auf 370 Dollar gesenkt, was in heutiger Kaufkraft umgerechnet etwa 8000 Euro entspricht, für einen Neuwagen(!) – war das Auto kein Billigprodukt mit eingebauter Obsoleszenz, dem man beim Wegrosten zuschauen konnte. Von den 15 Millionen Exemplaren, die allein in den USA gebaut wurden, soll angeblich noch rund ein Prozent existieren – das wären immerhin 150.000 Stück, die allesamt über 90 Jahre alt sind.

Allerdings könnte man so eine Antiquität mit dem Autofahrerwissen von heute kaum mehr einfach anwerfen und losfahren – und selbst das Praktische Autobuch von 1959 wäre nur von sehr begrenztem Nutzen. Zwar hatte die Standard-Tin-Lizzy wie heutige Autos drei Pedale, die dienten aber für Kupplung, Rückwärtsgang und Fußbremse. Gas gab man mit einem Hebel am Lenkrad, zusätzlich war noch ein Handbremshebel vorhanden. Beim Anlassen musste man nicht nur mit einer Handkurbel und einer manuell umzuschaltenden Zündung hantieren, sondern auch an einem Draht als Choke ziehen – die Prozedur gibt es etwa im Filmklassiker „Jenseits von Eden“ mit James Dean nach dem Roman von John Steinbeck zu sehen.

Das Auto als Plattform

Beim Fahren einer Tin Lizzy musste man noch viel mehr beachten – so gab es spezielle Zusatzbremsen für alle, die häufiger lange Berge runterfahren mussten; auf dem Weg nach oben hingegen konnten die Pleuellager trockenlaufen und der Motor Schaden nehmen, weil es keine Ölpumpe gab, sondern nur eine Schleuderschmierung. Eine Benzinpumpe war übrigens auch nicht vorhanden, der Sprit gelangte rein durch das Gefälle vom Tank in den Motor.

Seine sprichwörtliche Robustheit kam eben auch dadurch zustande, weil das Fahrzeug denkbar einfach konstruiert und eine dankbare Plattform für Zubehör-Lieferanten und Bastler war – oder wie man heute sagen würde: für Tuner und Maker. Über Hardware-Nachrüstungen scheint man in der Ford-T-Ära nicht diskutiert zu haben – sie wurden gemacht. Auf Basis der Tin Lizzy entstanden nicht nur diverse Karosserie-Varianten, sondern auch LKWs, ein Traktor und sogar ein Panzer. Und auch den heute trendigen Upcycling-Gedanken nahm Ford vorweg: Seinen Zulieferern machte die Firma genaue Vorgaben, wie groß die Holzkisten sein mussten, in denen diese ihre Bauteile lieferten. Die Kisten wurden zerlegt und von Ford ebenfalls verwendet – als Teile für das Modell T.

Infografik: 3D printing for the consumer market

In der Ausgabe 3/18 des Engine-Magazins ist auf Seite 45 eine handgezeichnete und englisch beschriftete Infografik von mir zu sehen. Thema ist eine Momentaufnahme: In welchem Spannungsfeld befindet sich gerade das Marktsegment der billigen 3D-Drucker für den Massenmarkt? Die Grafik im Heft illustriert einen Artikel von Karin Hirmer zum Thema Visualization und dient einfach als Beispiel für das Zusammenspiel von Grafik und Text.

(c) 2018 Peter König, visual-technotes.de / Alle Rechte vorbehalten

Die Zeichnung ist digital entstanden, auf einem iPad Pro mini mit Apple Pencil und der App Procreate. Für die schwarzen Linien benutze ich eine Fineliner-Pinselspitze, die ich mir selbst definiert habe.

Wer sich im Zeitraffer anschauen will, wie so eine Zeichnung entsteht, kann sich das im folgenden Video anschauen (Procreate erzeugt das dankenswerterweise automatisch nebenbei). Die reale Zeichenzeit betrug insgesamt etwa sechs Stunden.

Klassiker in Not – der Utah Teapot

Die Friesland Porzellanfabrik in Varel hat gestern angekündigt, zu Ende März 2019 nach 65 Jahren dichtzumachen. Das ist natürlich traurig – nicht nur, weil das Unternehmen seine Waren ausschließlich hierzulande produziert und dadurch viele Arbeitsplätze verloren gehen. Sondern auch, weil die Firma seit Jahrzehnten einen weltberühmten Star produziert, den paradoxerweise aber kaum jemand in der Porzellanabteilung suchen würde: den Utah Teapot.

(Bild: Friesland Porzellan)

Diese Teekanne kennen viele nämlich nicht aus der realen Welt, sondern aus dem virtuellen 3D-Raum. 1975 benötigte der Computergrafikforscher Martin Newell von der University of Utah einen mathematisch einfach zu beschreibenden, aber attraktiven Gegenstand und modellierte die Teekanne seiner Frau Sandra in 3D nach. Die Kanne wiederum war zwar in den USA gekauft worden, stammte aber ursprünglich aus Deutschland, eben aus jener Friesland Porzellanfabrik, welche die Kanne zwischen 1954 und 1991 unter dem Markennamen „Melitta“ herstellte. Produziert wird sie bis heute, in drei verschiedenen Größen, und inzwischen unter der Bezeichnung Utah Teapot.

Zwischendrin hieß sie auch mal schlicht „Haushaltsteekanne“. Denn in Varel hatte man lange Zeit gar keine Ahnung, welche Karriere der virtuelle Zwilling mittlerweile hingelegt hatte, wie die Kollegen von Radio Bremen bei einem Besuch in Varel im Mai erfuhren. Unbemerkt von der Porzellanfabrik mauserte sich die Daten-Version des Utah Teapot bald nach ihrer Modellierung durch Newell zu einem Standardobjekt in der frühen 3D-Computergrafik. Später, als ihre relativ schlichte Form für modernere Hardware und Render-Algorithmen keine Herausforderung mehr darstellte, hatte sich ihre typische Form bereits so im kollektiven Nerd-Gedächtnis eingebrannt, dass sie zum klassischen Meme wurde. Grafiker und Programmierer spendierten dem Teapot gerne Cameo-Auftritte in Animationsfilmen wie Toy Story oder auch in 3D-Software bis hin zum Windows-Bildschirmschoner.

Der „originale“ 3D-Utah-Teapot ist allerdings etwas anders geformt als das „echte“ Original von Friesland. Angeblich zeichnete Newell direkt am Teetisch eine Skizze der Kanne auf Papier und baute sie auf Grundlage seiner Zeichnung in der Uni in 3D nach.

Wer selbst noch einen realen, originalen Utah Teapot sein eigen nennen möchte, muss sich wohl leider sputen, denn wenn die Friesland Porzellanfabrik ihren Betrieb im kommenden Jahr einstellt, wird es irgendwann keine dieser Klassiker mehr zu kaufen geben. Aber vielleicht ergibt es ja so eine Art Crowdfunding, wenn jetzt noch genügend Leute ihrer Teekannensammlung dieses besondere Stück hinzufügen … Wir haben jedenfalls gerade eine bestellt.

InkTober: 31 Zeichnungen in 31 Tagen

In diesem Jahr habe ich erstmals beim Internet-Zeichenprojekt namens „InkTober“ mitgemacht. Das Kunstwort InkTober umfasst eigentlich schon alles, um was es geht: Wer Lust hat, zeichnet an jedem Tag im Oktober etwas mit Tusche (englisch: ink) und veröffentlicht es im Internet, im sozialen Netzwerk der Wahl, versehen mit dem Schlagwort #inktober oder #inktober2016 für die Aktion dieses Jahres.

Erfunden hat den InkTober der US-amerikanische Comiczeichner und Bilderbuchillustrator Jake Parker. Im Jahr 2009 wollte er seine zeichnerischen Fähigkeiten verbessern und stellte sich als Fingerübung selbst die Aufgabe, einen Monat lang jeden Tag eine Zeichnung zu machen. So wurde für ihn der Oktober 2009 zum InkTober – dem Tuschemonat. Diese Idee war ansteckend und inzwischen  beteiligen sich jedes Jahr viele tausend Zeichnerinnen und Zeichner am InkTober.

Meine täglichen Zeichnungen habe ich bei Instagram veröffentlicht – nicht an jedem Tag genau eine, aber immerhin alle innerhalb des vergangenen Oktobers. Hier gibt es sie aber noch mal in einer Übersicht:

Im Lauf der Tage und der Zeichnungen ist viel bei mir passiert – sowohl gestalterisch als auch technisch. Ein paar ausgewählte Aspekte davon will ich in den folgenden Blogposts beschreiben, die hoffentlich in den nächsten Tagen oder Wochen fertig werden.

Aufs Stichwort

Eigentlich gibt es für den InkTober keine weiteren Vorgaben, als jeden Tag zu zeichnen und die Ergebnisse im Netz zu veröffentlichen. Diese große Freiheit macht die Aufgabe aber noch anspruchsvoller, denn man braucht ja für jeden Tag auch eine neue Bildidee. Als Hilfe gibt es deshalb eine offizielle Stichwortliste von Jake Parker, an die ich mich nach anfänglichem Zögern dann doch gehalten habe (weshalb meine oben gezeigten Zeichnungen allsamt englische Titel tragen).

Eine einzige Ausnahme ist Bild Nummer 17: Eine Schlacht (Battle) konnte und wollte ich partout nicht zeichnen. Stattdessen habe ich für diesen Tag auf eine Zeichnung vom Wochenende zuvor zurückgegriffen, als ich zum ersten mal bei einem Treffen der Urban-Sketcher-Gruppe in Hannover dabei war.

Große Bandbreite

Seit Jake Parker im Jahr 2009 den ersten InkTober ausgerufen hat, haben sich weltweit immer mehr Zeichnerinnen und Zeichner der Aktion angeschlossen. Schon wenige Tage nach dem Start des InkTober 2016 meldete Parker, dass bereits über hunderttausend Beiträge auf den verschiedenen Plattformen veröffentlich worden wären.

Die Bandbreite ist dabei immens, sowohl was die Themen und Techniken, aber auch was den Anspruch und die Virtuosität angeht: Es beteiligen sich ebenso echte Zeichenanfänger wie jahrelang trainierte Hobbykünstlerinnen, aber auch etliche Profis aus dem grafischen Gewerbe am InkTober. Manche liefern brav und pünktlich täglich je eine Zeichnung ab, andere steuern im Lauf des InkTober nur zwei, drei Bilder in loser Folge bei. Viele produzieren ein recht homogenes Konvolut, zeichnen zum Beispiel einen Monat lang jeden Morgen die Fahrgäste, die mit ihnen zusammen im Bus sitzen. Andere widmen ihren gesamten InkTober sogar einem einzigen, zusammenhängendem Werk, wie Dani Diez, der den ganzen Monat über an einem Leporello arbeitete:

https://www.instagram.com/p/BMOwO-nA9wz/

His Master’s Stroke

Auch wer sich an die Stichwortliste hält (sei es die offizielle von Jake Parker oder eine der vielen alternativen Begriffssammlungen, die parallel im Netz kursieren), kann damit dennoch sein ganz eigenes Thema kombinieren. So illustrierte etwa Brian Kesinger die Tagesthemen aus der Liste mit jeweils einem seiner Comic-Drachen, an denen ich als Betrachter viel Spaß hatte (und von denen sich ein entfernter Cousin dann am Tag 29 auch in eine meiner Zeichnungen mogelte):

Auch Jake Parker hat die 31 Begriffe seiner eigenen Stichwortliste mit selbst geschaffenen Protagonisten durchgespielt. Für eine Hauptfigur seines Buchs „Little Bot and Sparrow“ hat er sich eine Reihe neuer Situationen und Szenen ausgedacht und zu Papier gebracht. Manche von Parkers InkTober-Zeichnungen dieses Jahres scheinen direkt aufeinander zu folgen, ein durchgehender roter Faden fehlt allerdings. Deshalb nehme ich es dem Zeichner durchaus ab, wenn er auf Nachfrage versichert, dass er keine fertige Geschichte vorab im Kopf gehabt hat, als er seine Schlagwörter zusammengestellt hat.

Dass er auch seinen möglichen Vorsprung nicht ausgenutzt und heimlich vorgearbeitet hat, sieht man etwa auch an seinem Kommentar zur Zeichung vom 16. Oktober:

https://www.instagram.com/p/BLsF-r8Bqce

Ich finde es sehr sympathisch, dass der InkTober auch für Jake Parker selbst offenbar immer noch eine Herausforderung ist. Dass er während dieses Monats auch mal um und mit Ideen ringt, dass ihm die Zeit davonläuft. Und dass er insgesamt seine Zeichenaktion keineswegs als minutiös vorab durchgeplantes Marketing-Event für seine Bücher herunterspult, wie man vielleicht argwöhnen könnte, sondern wie alle anderen Mitzeichnerinnen und Mitzeichner das Risiko des Scheiterns nicht scheut – mit jedem Tag und jeder Zeichnung aufs neue.

Flying Circuits – warum eigentlich?

Hinweis: Dieser Beitrag wurde geschrieben, als dieses Blog noch Flying Circuits hieß und unter folgendem Headerbild erschien:

Als ich Kind war, bekam mein Vater mal ein Buch geschenkt, das Der fliegende Zirkus der Physik hieß. Auf dem gezeichneten Cover war ein ziemlich fusseliger Pilot zu sehen, der ein reichlich handgestrickt wirkendes Flugobjekt offenbar souverän in der Luft hält – sicher unter geschickter Ausnutzung allerlei physikalischer Phänomene, die das Buch erklärte. (Das Buch gibt es bis heute zu kaufen, das Cover sieht inzwischen allerdings anders aus.)

Dass man eine bunte Zusammenstellung unterhaltsamer Dinge als Fliegenden Zirkus bezeichnen kann, hat sich damals bei mir festgesetzt. Und als ich Jahre später auch noch Monty Python’s Flying Circus entdeckte, bestätigte sich das nochmals.

Flying Circuit

Wieder viel später suchte ich einen Namen für ein geplantes Blog, das sich auf bunte Weise mit Technik beschäftigen sollte. Inzwischen war ich Informatiker und Journalist geworden, arbeitete bei der Computerzeitschift c’t, und dachte deshalb beim Stichwort Technik auch an Elektronik. Die fasziniert mich, auch wenn (oder gerade weil) sie bis heute alles andere als meine Kernkompetenz ist. Liest man im Internet viel über Elektronik, taucht dabei gehäuft der Begriff circuit auf, englisch für Schaltkreis. Und irgendwann fiel der Groschen: Fügt man in einen Flying Circus zwei zusätzliche Buchstaben ein, werden daraus Flying Circuits, also fliegende Schaltkreise, was ziemlich genau die hochfliegende Vision beschreibt, die ich für mein Blog hatte. Die steckt heute noch im – inzwischen eher ironischen – Motto: „Irgendwann baue ich Vakuumluftschiffe, analoge Synthesizer und Radiermaschinen.“

Doppeldeutig

Ja, Englisch ist für mich eine echte Fremdsprache. Ich verstehe zwar ziemlich viel, aber manches eben doch nicht in allen Facetten. So fiel mir auch erst viel später beim Googlen auf, dass Flying Circuits im Englischen nicht in erster Linie ein Wortspiel ist, sondern eine ganz klare Bedeutung hat: Damit bezeichnet man Rundkurse, die ein Flugzeug fliegt, etwa bei der Pilotenausbildung zum Üben von Start und Landung, aber auch die Warteschleifen bis zur Landeerlaubnis, die eine Verkehrsmaschine über einem verkehrsreichen Flughafen dreht.

Ehrlich gesagt: Inzwischen gefällt mir diese zweite Bedeutung sehr gut. Denn wie das Motto dieses Blogs schon betont, baue ich die Vakuumluftschiffe, analogen Synthesizer und Radiermaschinen ja erst irgendwann – und bis dahin lasse ich mich von allem möglichen ablenken, was mich interessiert und was im weitesten Sinne mit Technik, Geschichte und Ästhetik zu tun hat. Ich ziehe auch in diesem Blog viele gewundene Warteschleifen – der Treibstoff kann mir dabei ja glücklicherweise nicht ausgehen.

Flying Circus, mal wörtlich genommen


Fußnote: Die englische Wikipedia definiert einen Flying Circus auf der Begriffsklärungsseite als Truppe von Barnstormers. Solche Scheunenstürmer zogen in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg mit ihren Flugzeugen, die aus der Rüstungsproduktion übriggeblieben waren, als Schausteller der Lüfte durch die ländlichen Gegenden in den USA. Sie boten Rundflüge an, veranstalteten aber auch Flugshows mit spektakulären Vorführungen, bei denen sie etwa durch Scheunen flogen – daher ihre Bezeichnung. Wer gerne mal selbst ausprobieren will, wie sich das anfühlt: Im Flight Simulator 2004 von Microsoft gibt es ein passendes Szenario, zu absolvieren mit einer etwas zurückhaltend motorisierten Curtiss JN-4 „Jenny“.

Eigentlich ist der Begriff Flying Circus aber noch ein paar Jahre älter und stammt direkt aus dem ersten Weltkrieg, was ihm einen bitteren Beigeschmack verleiht, jedenfalls für einen Pazifisten wie mich. Im Jahr 1917 wurde rund um den Jagdflieger Manfred von Richthofen ein Elite-Geschwader gebildet, das in Zelten kampierte und samt Flugzeugen, Sack und Pack per Lastwagen von Einsatzort zu Einsatzort gekarrt wurde wie ein Wanderzirkus. Außerdem waren die Flugzeuge der Truppe knallbunt bemalt, sah eher nach Schaustellerei als nach Militär aus – man setzte bewusst auf Warnfarben statt auf die sonst üblichen Tarnfarben. Beides zusammen brachte dem Geschwader bei den Briten den Namen Richthofen’s Flying Circus ein. Ich hoffe allerdings, dass es den meisten heutzutage geht wie mir: Dass sie bei Flying Circus eher an John Cleese & Co. als an den Roten Baron denken.

Allegorien auf die Zukunft von gestern

Das Göteborger Kunstmuseum ist ein leicht wuchtig geratenes Gebäude aus den 20er Jahren, mit reichlich Treppenstufen davor, die zwischen den mächtigen Säulen und unter den Rundbögen der Fassade irgendwie in einem zugigen Nichts enden. Hat man sich aber im Inneren geduldig ganz nach oben gearbeitet, findet man dort die sogenannte Fürstenberg-Galerie. Diese erhielt ihren Namen nach dem Kunstmäzen Pontus Fürstenberg (1827–1902), der besonders die skandinavischen Künstler kurz vor der Jahrhundertwende wie Carl Larsson, Ernst Josephson und Anders Zorn förderte und ihre Werke kaufte.

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Die Räume dieser Galerie – in denen man unter anderem Bilder der ebengenannten Maler findet – wirken, als wären sie älter als das Gebäude selbst, das sie beherbergt. Die Innenausstattung mit farbigen Wänden, Stuck an der Decke, Eichenparkett, Teppichen und historisierenden dunklen Holzmöbeln sieht so gar nicht nach der Zeit des Nordischen Klassizismus aus, in dessen Geist das Kunstmuseum gebaut wurde. Vermutlich hat man in der Fürstenberg-Galerie die Szenerie älterer Räumlichkeiten nachgebaut, mit allen Dekorationselementen.

Diese Dekoration ist in der Tat ungewöhnlich: Auf den Stuckfriesen, üben denen die Wände in einer großzügigen Hohlkehle in die Decke übergehen, tummeln sich sechs allegorische Paare lebensgroßer Akte. Und während man gewohnt ist, dass solche Plastiken irgendwelche biblischen Tugenden oder Laster oder sonstige philosophische Konzepte verkörpern, hat dieses Dutzend Nackte viel handfesteres zu kommunizieren – moderne Technik.

Telefon

Das Telefon. Offensichtlich noch mit schlechter Tonqualität, die es erforderte, die Ohren scharf zu spitzen.

Kamera

Die Fotografie. Links macht sich das Modell hübsch, rechts nimmt die Fotografin den Deckel vom Objektiv ab, um die Belichtung zu starten.

Magnetismus

Das ist schon schwieriger. Dargestellt wird der Magnetismus, zu erkennen am Hufeisenmagnet. Die etwas weggetreten wirkende Dame links spielt vielleicht auf Franz Anton Mesmer an, der im 18. Jahrhundert Leuten Magneten aufgelegt haben soll, um sie zu hypnotisieren.

Dampf

Der Kessel in der Mitte macht es klar: Hier geht es um Dampf, damals das Mittel der Wahl zur Energieerzeugung. Auch wenn die beiden flankierenden Figuren eher benebelt wirken – oder wie kurz davor, sich wegen der Hitze von der höchsten Bank in der Sauna herunterzurollen.

Elektrizitaet

Die Elektrizität. Die beiden Figuren links und rechts holen sich Schläge an der Elektrisiermaschine in der Mitte. Das Medaillon ist leider auf dem Bild nur schlecht zu erkennen, aber die beiden hellen Punkte und der schwarze Fleck drumherum sind eine Katze auf der Schulter einer Dame – und ein mit Bernstein geriebenes Katzenfell war eines der frühen bekannten Beispiele für elektrostatische Aufladung.

Dynamit

Das ist wirklich schwer, ich musste auch erst auf den Erklärtext schauen: Diese Gruppe stellt das Dynamit dar – es erschreckt durch den Knall (wie man bei der Figur im Medaillon sieht) und ist in der Lage, Felsen zu spalten.

Die Figuren wurden samt und sonders vom wenig bekannten Bildhauer Per Hasselberg geschaffen. Bei den gemalten Medaillons waren verschiedene Künstler am Werk: Das Telefon-Bild schuf zum Beispiel Georg Pauli, der später einer der ersten Kubisten Schwedens wurde; den Dynamit-Schrecken pinselte Ernst Josephson, die elektrische Katze mit ihrer Besitzerin malte Carl Larsson.

Die gute böse Tante Ju

Am vergangenen Samstag ist die letzte flugfähige und in Deutschland zugelassene Maschine des Typs Junkers Ju 52/3m von der Kulturbehörde in Hamburg als „bewegliches Denkmal“ unter Schutz gestellt worden. Ein Fest für viele Technik-Nostalgiker. Und ich muss zugeben: Auch ich laufe zum nächsten Fenster und versuche, den silber-schwarzen Wellblechvogel zu erspähen, sobald ich das unverwechselbare Brüllen seiner drei Pratt&Whitney-Wasp-Sternmotoren höre.

Ju2014

Doch ein gewisses Unbehangen ist immer dabei, als werfe das fliegende Museumsstück einen langen kalten Schatten auf die Erde. Dabei ist das Image der „Tante Ju“ in Deutschland überwältigend positiv. Es beruht auf einer – einseitigen – kollektiven Erinnerung an die Maschine als sagenhaft zuverlässiges Verkehrsflugzeug, das sich mit einer kurzen (auch behelfsmäßigen) Start- und Landebahn begnügte und auch aus schwierigen Situationen eigentlich immer wieder rauskam. Die Ju 52 ist offenbar immer noch ein derart ein starker Sympathieträger, dass die Lufthansa in den 90er Jahren ein altes Plakatmotiv mit ihr als Werbung auf Postkarten druckte, als nostalgische Reminiszenz an eine gute alte Zeit:

AuchImWinter

Gute alte Zeit? Die ersten Exemplare der Ju 52 wurden zwar schon 1932 ausgeliefert, aber ihre große Zeit erlebte die „Tante Ju“ im nationalsozialistischen Deutschland – als Passagier- oder Frachtflugzeug im zivilen Einsatz, aber auch als Militärmaschine. Mehr noch: Lange bevor es den Begriff des „Dual-Use“ überhaupt gab (heute bezeichnet er die prinzipielle Verwendbarkeit einer Sache sowohl für zivile als auch militärische Zwecke), war die Ju 52 gezielt für genau diesen Doppelnutzen entworfen worden: Das Reichswehrministerium nahm großen Einfluss auf die Entwicklung der Maschine, mit der Folge, dass am Ende jede jemals gebaute Ju 52 ohne Umbauten auch direkt im Krieg eingesetzt werden konnte. So gab es eine Ladeluke an der Rumpfoberseite, die den nachträglichen Einbau eines Maschinengewehrstandes ermöglichte. Zwischen den beiden Hälften des geteilten Fahrgestells war genügend Platz, um Bomben aufzuhängen. Die wurden zum Beispiel im spanischen Bürgerkrieg von den Ju-52-Maschinen der deutschen Legion Condor auf die baskische Stadt Guernica abgeworfen.

Wenn jetzt die letzte deutsche Ju 52 offiziell zum fliegenden Denkmal gekürt wird, sollte auch aktiv an ihre dunkle Seite erinnert werden. Sonst geht man vor lauter Techniknostalgie der Mär einer guten alten Zeit am Ende noch auf den Leim.