Männer, die in Brillen starren – Erzählungen aus der virtuellen Realität

Virtual Reality – kurz: VR – war schon ein heißes Thema, als ich vor über zehn Jahren Informatik an der Uni Bremen studiert habe. In der Praxis sah Virtual Reality damals so aus: Man baute eigens einen Raum auf, eine sogenannte Cave. Deren Wände waren idealerweise gewölbt, damit die künstliche Welt nicht durch störende Ecken unterbrochen wurde – denn auf diese Wände projizierten mehrere Beamer synchron die Simulation einer in Echtzeit und 3D berechneten Umgebung.

Staken durch den virtuellen Dschungel

An zwei studentische Projekte aus dem Jahr 2004 erinnere ich mich noch besonders gut: Bei einem stakte man auf einem Floß durch die vorbeiziehende 3D-Grafik eines Dschungels (in dem gab es animierte Säbelzahltiger und andere Monster, die seltsam blaue Haut hatten). Das Floß rührte sich dabei nicht wirklich vom Fleck, lediglich die Bewegung der Stange in der Hand des Benutzers wurde von Sensoren erfasst und beeinflusste dadurch das Tempo, in dem die Landschaft in der Projektion achteraus glitt.

Die Technik unter dem fliegenden Teppich

Beim anderen VR-Projekt ging es rasanter zu, denn da kurvte man auf einem fliegenden Teppich durch die Luft. Der Teppich war auf eine Holzplatte geklebt, in zwei Achsen beweglich gelagert und pneumatisch (oder hydraulisch?) gedämpft. Man konnte seine Ausrichtung durch Verlagern des eigenen Gewichts verändern und dadurch den Teppich steuern. Hatte man Tempo aufgenommen, blies einem sogar Fahrtwind ins Gesicht – auf dem folgenden Foto ist am Rand des projizierten Himmels oben der Luftauslass für die Windmaschine zu erkennen.

Fliegen auf dem Teppich durch die VR

Die Idee der VR erlebt gerade wieder eine Renaissance. Allerdings hat sie sich aus ihren Caves befreit und steckt kompakt in Brillen, in die man nur hinein-, aber nicht hindurchsehen kann, und die an zugeklebte Tauchermasken erinnern.

Solche Brillen wie die Oculus Rift oder die Samsung Gear VR haben den unschlagbaren Vorteil, dass man nicht mehr einen kompletten Raum umbauen muss, um in die virtuelle Realität einzutauchen. Auf der anderen Seite kann so ein Sichtgerät immer nur bei einem Benutzer zur Zeit auf der Nase sitzen. Und so ist das Internet voll mit Videos von Leuten, die in undurchsichtige Brillen schauen, den Kopf hin und her drehen und ihren Zuschauern dabei erzählen, was sie gerade erleben. Damit wird über eine Technik, die vielen noch wie Zukunfstmusik vorkommen mag, auf eine Weise kommuniziert, die schon die Epen Homers durch die Jahrtausende trug: Durch Erzählen und Zuhören.

Das hat handfeste Gründe. Bei der Samsung Gear VR zum Beispiel läuft die gesamte VR-Darstellung auf einem handelsüblichen Smartphone – versucht man, auf demselben Gerät die live erzeugten stereoskopischen Videos mitzuschneiden, geht die Hardware in die Knie und die virtuelle Welt fängt an zu ruckeln. Aber selbst bei Systemen, die nicht mit diesem Problem kämpfen, etwa der Oculus Rift, ist der Mitschnitt der Videos nur ein müder Abklatsch des eigentlichen Erlebnisses: Der räumliche Eindruck stellt sich nicht ein, wenn man die Bilder für beide Augen einfach nur so nebeneinander auf dem Bildschirm sieht. Die Darstellung erscheint verzerrt, weil die kalkulierte Verzeichnung durch die eingebauten Linsen der Brille fehlt. Die Bilder füllen längst nicht das gesamte Gesichtsfeld aus. Vor allem reagiert die Darstellung nicht auf eigene Kopfbewegungen. All dies macht aber gerade den Eindruck aus, mit Haut und Haaren in die simulierte Welt einzutauchen. Da bleibt wirklich nur, es selbst zu erleben und davon zu erzählen.

Und ja, es ist eine wirklich intensive Erfahrung, die noch am ehesten mit einem sehr plastischen Traum zu vergleichen ist.

Verlorene Welten

Manchmal schlägt das Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen in der Mittagspause seltsame Wege ein. So redeten wir kürzlich über Berlin und meine Gedanken rutschten unversehens zurück in die frühen 90er Jahre. Damals war ich spätestens alle paar Monate in Berlin – ich kannte dort Leute und wollte so oft wie möglich raus aus der badischen Provinz, wo ich meinen Zivi leistete, und hinein in die große Stadt. Und obwohl ich fast zwanzig Jahre nicht mehr daran gedacht hatte, fiel mir plötzlich wieder ein seltsamer Laden ein: die Blei Bar in der Fehrbelliner Straße (Hausnummer 6, wenn ich mich nicht irre).

Als Landei war ich offenbar so schwer von der Blei Bar beeindruckt, dass ich einen kleinen Text darüber schrieb. Weil das schon auf einem Computer passierte (der meinem Mitbewohner gehörte und auf dem übrigens noch kein Windows lief), entstand dieser Text bereits digital. So hat er sich in meinem von Rechner zu Rechner stets mitgezogenen Datenbestand bis heute erhalten:

„Die Blei Bar befand sich im Erdgeschoß eines ansonsten wohl leerstehenden Ziegelbaues aus der Gründerzeit, von dem – wie in diesem Viertel üblich – die Zementfassade gleich in Stücken von halben Quadratmetern abfiel. Alle Fenster waren verammelt, nur neben der abgestoßenen Haustüre glomm ein schwaches, zinnoberrotes Licht hinter einer blinden Opalglasscheibe, die mit kleinen eingeschliffenen Sternchen gemustert war. Auf die Scheibe hatte jemand kaum sichtbar und linkisch mit taubenblauem Lack aufgesprüht: Blei Bar. Aber das konnte man eigentlich erst lesen, wenn man schon wußte, was es heißen sollte.

Der Hausflur war stockdunkel, nach links führte ein schwach erleuchteter Gang ab, der an einer Tür endete. Schon hier war die Musik ohrenbetäubend. Denn hinter einem groben Mauerdurchbruch links vor der Tür lag die Bar: ein vollkommen kahles Zimmer von vielleicht sechs Metern im Quadrat, das eine Theke aus Stahlblech, fünf Barhocker, ein Sperrmüllsofa und eine Musikanlage enthielt. Auf dem einen Ende der Theke stand eine weinflaschenhohe Glühbirne mit gewendelten schwarzen Plastikfuß, deren Glühfaden die Form eines Edelweiß hatte. Das andere Ende der Theke zierte eine dreidimensionale Uhr mit Zeigern aus bunten Plastikfäden und Flitterbüschen, von unten beleuchtet, das ganze unter einer Art pyramidenförmigen Plexiglassturz gefangen. Auf der Theke standen sonst noch ein paar Bierflaschen und ein Diaprojektor. Der warf ein gemaltes Bild an die Wand: Jemand (der vielleicht noch ein Kind war) hatte auf blaue Folie ein seltsames Tier mit Hörnern gekrakelt und daneben „Kuh“ geschrieben. Über dem Sofa war mit roter Farbe eine Spirale von etwa zwanzig Zentimetern Durchmesser auf die Wand gepinselt, als hätte die Wand voll werden sollen, aber die Lust hatte nicht dafür gereicht. Ansonsten gab es überhaupt nichts: Mehr Details berichten hieße Kippen und Kronenkorken auf dem Boden zählen.

Morgens um drei, als wir in die Blei Bar kamen, waren dort fünf Leute. Einer beschäftigte sich mit der Musikanlage, die in in Presslufthammerlautstärke pulsierte. Zwei standen an der Theke und spielten Domino.  Einer hing am Fenster, hatte eine Postuniform an und hielt ein Weizenglas in der Hand. Am Diaprojektor fummelte ein blondes Mädchen in Kittelschürze herum, die eine blaue Sonnenbrille und eine hohe Ballonmütze aus rotem, steifen Filz trug. 

Die Toilette lag auf der anderen Seite des Flures und hatte eine zwei Meter breite Holztür, die jeweils ein Schild „Damen“ und „Herren“ trug. Der Raum war größer als die Bar selbst, enthielt aber nur eine einzige Schüssel, die in eine Ecke geflohen zu sein schien. Es gab noch ein Waschbecken mit einem Spiegel darüber, an dem ein Strauß trockner Rosen hing. Das Ganze erhellte eine Glühbirne, die in zwei aneinandergeschraubten Trabi-Rücklichtern steckte.“

Heute bekommt man nicht mehr viel raus über die Blei Bar. Im Internet hat sie jedenfalls keine direkten Spuren hinterlassen, denn das Netz gab es 1993 eben noch nicht. Immerhin habe ich dort ein Foto gefunden. Es stammt von der Fotografin Eva Otaño Ugarte und es wurde offenbar 2010 in einer Ausstellung gezeigt. Da gab es das Internet schon, und deshalb ist das Bild auch hier zu sehen:

Wo auf dem Bild links vorne der Schaukelstuhl steht, befand sich in meiner Erinnerung (die sich vor allem auf den Text oben stützt) das Sofa. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich die Bar alleine nach dem Foto gar nicht wiedererkannt.

Eigentlich ist es Glück und Zufall, dass von der Blei Bar überhaupt ein Foto existiert. Damals hatte eigentlich niemand eine Kamera dabei. Man hatte auch kein Telefon dabei. In einem Club wie der Blei Bar konnten sich eigentlich alle sicher sein, weder angerufen noch fotografiert zu werden.

Keine Angst – es folgt hier jetzt kein Lamento, dass früher alles besser war, weil man damals ach so wilde Dinge tun konnte, ohne fürchten zu müssen, dass am nächsten Morgen das ganze Netz davon weiß. (So wild war das Leben damals auch nicht, jedenfalls meins nicht). Nein, im Gegenteil: Ich finde es schade, dass ich vor zwanzig Jahren eigentlich nie eine Kamera dabeihatte; es sei denn, ich zog vorsätzlich los, um Fotos zu machen.

Heute ist das anders – und ich finde es toll.

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Alles, woran ich mich später erinnern möchte, kann ich jetzt mal eben schnell mit meinem Telefon fotografieren. Das sind heute nicht mehr so oft Szenen aus der Kneipe, immer öfter hingegen Poster, Plakate, Graffiti, Lichtsituationen. So fiel mir zum Beispiel neulich ein Plakat mit einem wunderschönen Hintergrundmotiv auf. Ich habe den Bildnachweis fotografiert, hatte dann den Namen des Künstlers, konnte den googeln und fand das Bild wieder: les mondes engloutis (= die verlorenen Welten) von Tom Haugomat:

Klar, im Prinzip wäre das auch früher gegangen, ich hätte mir vor zwanzig Jahren den Namen des Grafikers einfach aufschreiben können. Nur: Was hätte ich dann damit angefangen? Wie hätte ich jemals mehr über ihn herausfinden können, mehr Bilder von ihm zu Gesicht bekommen können, von einem Illustrator im fernen Paris, in den Zeiten vor dem Internet?

Ich kann mich daran erinnern, dass ich in der Blei-Bar-Zeit mal in einer Berliner Hinterhofgalerie-Ausstellung eine Radierung sah, ein Porträt, das mich sehr faszinierte. Es sollte zwar keine hundert Mark kosten, aber soviel Geld hatte ich damals nicht. Vielleicht habe ich mir sogar den Namen des Künstlers oder der Künstlerin irgendwo aufgeschrieben und den Zettel dann verlegt, später mal wiedergefunden, die Verbindung zum Bild nicht mehr hergestellt und ihn dann weggeworfen. Wie auch immer das war, mir bleibt nur die Erinnerung daran, dass ich mal ein solches Bild gesehen habe – die Erinnerung an das Bild selbst ist längst verblasst, genauso wie die Erinnerung an die Paraphrase darauf, die ich davon mal selbst gemalt und anschließend verschenkt habe…

Besser, ich schreibe solche Notizen heute gleich ins Internet. Denn es heißt ja immer: Das Internet vergisst nichts. Das könnte ja auch mal seine guten Seiten haben.

Wie der Fortschritt Metaphern umpolt

Mein Büro-Mitbewohner kennt sehr viele Songs. Er beherrscht auch die Kunst, mir mit einer einzelnen gesummten Phrase oder gesungenen Zeile für den Rest des Tages einen Ohrwurm zu bescheren. (Ja, ich kenne offenbar ebenfalls viele Songs.)

Neulich reichten drei Worte von ihm – nothing ever happens – um mich 25 Jahre zurückzukatapultieren. Ende der 80er hörte ich viel Radio, fast ausschließlich SWF3, einen Sender, bei dem Leute wie Anke Engelke, Frank Plasberg und Claus Kleber als völlig unbekannte JungmoderatorInnen für den launigen bis albernen Ton zuständig waren.

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Je später der Radio-Abend wurde, desto mehr wuchs bei SWF3 aber auch die Chance, dass ich erfuhr, wie der Song und wie die Band hieß, die gerade zu hören waren – die Nummern wurden damals meist ausgespielt und dann sagte der Mensch am Mikrofon: „Das war Steely Dan mit dem Titel Reelin‘ in the years„. Zum Beispiel. Soviel Zeit war da.

Auf der Suche nach dem einen oder anderen Song, der selten über den Sender ging, mir aber im Kopf hängengebliegen war, legte ich mich ein wenig auf die Lauer. Das Radio – ein altes Ding, zwar schon mit Transistoren, aber noch in 60er-Jahre-Nussbaum-Optik – stand direkt auf meinem Schreibtisch, an dem ich Hausaufgaben machte und zeichnete. Stift und Papier waren also immer greifbar, und nach ein paar Wochen Geduld hatte ich dann den Titel und Interpret des gesuchten Songs schwarz auf weiß. Surfin‘ Bird von den Trashmen etwa oder später No Rain von Blind Melon.

Und eben: Nothing ever happens von Del Amitri, mein Ohrwurm vom Anfang. Dieser Song ist aus dem Jahr 1989 und manchmal höre ich ihn immer noch gerne, wenn es dunkel ist. Dass ich hier darüber schreibe, liegt aber am Text. Er widmet sich der nächtlichen Einsamkeit der Menschen in der modernen Welt und benutzt dafür als Metapher die sinnlos weiterlaufende Maschinerie der Alltagstechnik: Ampeln schalten auf rot, auch wenn da niemand ist, der fahren will. Überwachungskameras in Kaufhäusern zeigen täglich den selben (todlangweiligen) Film. Einfältige Leute schlafen bewusstlos wie betäubte weiße Labormäuse. (Und heute Nacht werden alle einsam sein, und morgen auch.)

Soweit, so kalt, so melancholisch. Doch auch: Sekretärinnen schalten Schreibmaschinen aus, bevor sie zum Mantel greifen und das Büro verlassen (immerhin sind die Schreibmaschinen schon elektrisch). Leute beschweren sich über Wiederholungen im Fernsehen, stimmt, das hat manche Menschen mal sehr bewegt. Telefone tauschen Klicks aus, analog zum alten Impulswahlverfahren. Computerterminals melden Kursschwankungen bei Kupfer und Zinn – handfestes Material im Vergleich zu Optionen, Zertifikaten und geschlossenen Imobilienfonds von heute. Und im Refrain: Die Nadel kehrt zum Anfang des Songs zurück und alle singen wieder mit.

Das ist heute nicht mehr kalt, modern und technisch, sondern nostalgisch. Warm. Etwas angestaubt. Gerade mal 25 Jahre her. Wie das Nußbaum-Radio auf meinem Schreibtisch, die energieverschwendende 40-Watt-Glühbirne mit dem warmen Licht in der Architektenlampe. Kein Computer. Kein Handy. Musik im Kopf. Ein Stift und ein Zettel. Zeit.

High-Tech in der Küche

Gestern haben wir Plätzchen in Form von Zahnrädern gebacken. Das Ausstechförmchen dazu stammt aus dem 3D-Drucker, die Vorlage dafür entstand wiederum durch das Zusammenspiel des Open-Source-Vekorgrafikprogramms Inkscape mit dem 3D-Webdienst Tinkercad. Wie sich das im Detail abgespielt hat, steht in der kommenden Ausgabe der c’t Hacks, die noch rechtzeitig vor Weihnachten am Kiosk liegt.

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Wer will, kann sich die Druckvorlage für das Zahnradförmchen aber schon mal bei Sketchfab herunterladen. Inzwischen kann ich das 3D-Modell davon sogar interaktiv ins Blog einbetten – beim alten Hoster WordPress.com ging das nicht, weil der keine iframes unterstützt. Das finde ich schön, denn die dreh- und zoombare Darstellung macht wirklich was her. Zudem kann man einige Hinweisziffern ins Modell klicken und diese mit Detail-Informationen beschriften, was ich einfach mal ausprobieren musste.

 

Als ich nach dem Ausstechen mit der 3D-gedruckten Form so in der Küche stand und mit einem Cocktailspießchen vorsichtig die runden Teigscheibchen aus den Achsenlöchern der Zahnräder prokelte, fiel mir plötzlich ein, woran mich das ganze erinnerte – an einen Donald-Duck-Film, den ich mal in den Siebzigern im Kinderprogramm gesehen hatte. Da werden ebenfalls Zahnräder gebacken. Und auch noch in anderer Hinsicht passt der Film (von 1944!) zum Thema 3D-Druck …

Spritztour zurück ins Jahr 1959

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Ich habe neulich „Das praktische Autobuch“ (Baujahr 1959) geschenkt bekommen. Darüber habe ich mich sehr gefreut, denn ich lese gerne Erklärungen über technische Dinge, insbesondere, wenn sie allgemein verständlich geschrieben sind. Prompt habe ich beim flüchtigen Durchblättern und Überfliegen einiger Seiten des praktischen Autobuchs wieder was gelernt: warum Autos mit Zweitaktmotoren eine Freilaufkupplung brauchen.

Bei Zweitaktern wird das Schmieröl dem Kraftstoff beigemischt. Würde man so einen Motor wie einen Viertakter ohne Sprit weiterlaufen lassen, sobald man Gas wegnimmt, der Wagen aber noch viel Fahrt drauf hat, liefe der Zweitaktmotor in diesem Moment ungeschmiert. Mit einem Freilauf kann der Motor stattdessen im Leerlauf weitertuckern und bekommt durchgehend Sprit und Schmierung. Die praktische Konsequenz davon: Zweitakt-Autos haben keine Motorbremse. Das in westdeutschen Fahrschulen geübte Runterschalten vor der Kurve bleibt in also vollkommen wirkungslos, falls man mal einen Trabant fahren sollte…

Das praktische Autobuch macht mir aber auch mit seiner grafischen Gestaltung viel Freude. Die eingestreuten Illustrationen sind nicht nur elegant im Strich; charmant finde ich auch, dass die Gestalter des Buches zum Beispiel den Abschnitt über „Schmieröle“ mit der Miniatur einer Laborszene illustrierten:

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Genauso stelle ich mir die fünfziger Jahre vor.

Neben den Strichzeichnungen auf den normalen Seiten sind auch noch Schwarzweiß-Foto-Tafeln und einige wenige Farbtafeln eingebunden. Die schönste ist diese hier:

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Sie zeigt die seinerzeit verbreiteten Bauarten anhand von drei gängigen Automodellen: Einem Opel Kapitän, einem VW Käfer sowie einem DKW (wahrscheinlich einem F93).

Was auffällt: wie wenig auf den Schemazeichnungen gelb markiert ist, also zur Elektrik gehört. Autos waren damals eher eine mechanische Angelegenheit, keine hochintegrierten mobilen Mechatroniksysteme wie heute. Unter der Haube hat sich viel getan. Darüber sieht man leicht hinweg, weil Autofahren im Prinzip heute noch ganz ähnlich funktioniert wie vor 55 Jahren: Gas rechts, Bremse in der Mitte, Kupplung links; ein Lenkrad, vier Räder, Blinkerhebel, Scheibenwischer, Fernlicht, Außen- und Innenspiegel … alles klar.

Aber in den Details beschreibt das praktische Autobuch eine fremde Welt. So gelten vollsynchronisierte Getriebe noch als etwas sehr neumodisches – zwischen den Zeilen kann man deutlich lesen, dass echte Könner auch mit einem rustikalen Schubradgetriebe klarkommen, weil sie gelernt haben, zwischen Aus- und Einkuppeln gefühlvoll Zwischengas zu geben. Auch warnt das Buch eindringlich davor, mit getretenem Kupplungspedal, aber eingelegtem ersten Gang den Motor zu starten – Kupplungen würden schließlich zum „Kleben“ neigen, der Anlasser hätte dann viel Kraft aufzubringen, die Batterie würde strapaziert und eine neue koste soviel wie zwei Paar gute Schuhe. Die Handhabung des Choke wird ausführlich erklärt, bei Fehlern droht der Motor „abzusaufen“ – gehört habe ich davon zwar schon mal, passiert ist es mir noch nie.

Kein Wunder: Mein Führerschein stammt aus dem Jahr 1990, ist also gut 30 Jahre jünger als das praktische Autobuch. Es hätte mir damals nicht viel helfen können, denn zwischen den Vehikeln, die es beschreibt, und dem elterlichen Audi 100 C2 lagen schon etliche Fortschritte: Einspritzer, Zentralverriegelung, Klimaanlage … Und heute, nochmal bald 25 Jahre später (in denen ich zu keiner Zeit ein eigenes Auto besessen habe) stehe ich vor manchem geliehenem Wagen so ratlos da, wie jemand, der Ende der Fünfziger aus dem praktischen Autobuch fahren gelernt haben mag: Wo ist das Zündschloss? (Man muss die Fernbedienung, über die man die Türen öffnet, in einen Schlitz im Armaturenbrett stecken und dann auf einen Startknopf drücken.) Wo ist die Handbremse? (Man löst sie per Knopfdruck, ihr Zustand wird über eine Kontrolleuchte angezeigt.) Fahren muss man allerdings immer noch selbst. Ob die Verfasser des praktischen Autobuchs das vor über 50 Jahren gedacht haben?

Mini-Me – ich in 3D

Es gibt mich jetzt auch in klein – knapp 20 Zentimeter hoch, im Maßstab von etwa 1:9, aus gefärbtem Gips in 3D gedruckt. Sowas kommt vor, wenn man bei einer großen Computerzeitschrift arbeitet und – um darüber zu berichten – ab und zu auch mal Dinge ausprobiert, die sich nach Science-Fiction anhören.

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Diese Figur von mir hat der Berliner 3D-Scanner-Hersteller und Druckdienstleister Botspot freundlicherweise eigens für den Artikel angefertigt. Mein Kollege und ich sind nach Berlin gefahren, zum Botspot-Geschäft im Materialkaufhaus Modulor am Moritzplatz, um 3D-Scans von uns machen zu lassen. Der Scan funktioniert dort über Fotogrammetrie, ein Verfahren, das ursprünglich aus dem Landvermessungswesen kommt. Bei Botspot sind dafür in einem speziellen Raum über 60 Spiegelreflexkameras montiert, die alle zeitgleich ausgelöst werden und die Person in ihrer Mitte aus lauter unterschiedlichen Blickwinkeln aufnehmen. Aus den Fotos berechnet dann eine spezielle Software das 3D-Datenporträt.

Das Ganze fühlt sich erstmal so ähnlich an wie ein Fototermin für ein Bewerbungsbild: Man verabredet mit dem Fotostudio eine Zeit, überlegt sich, was man anzieht, denkt noch mal über die Haare nach (falls man mehr davon hat als ich) und macht sich schließlich auf den Weg. Im Studio wird man freundlich empfangen, fühlt sich aber doch nicht so gelöst wie gewünscht, wenn die Kamera auf einen gerichtet ist. Dann werden ein paar Aufnahmen gemacht – bitte recht freundlich –, man sieht eine Vorschau auf dem Bildschirm, nickt die Aufnahme ab und verabschiedet sich. Das ist alles mäßig aufregend, aber nicht unbedingt neu.

Umso seltsamer ist allerdings der Moment, an dem ein paar Tage später ein kleines Paket ankommt. In dem Paket ist ein Schaumstoffklotz, in dem Schaumstoffklotz ist eine Höhlung und in der Höhlung liegt eine irritierend realistische Miniatur seiner selbst. Ich kann mich daran erinnern, dass es ähnlich komisch war, als Kind zum ersten Mal auf einer Kassettenaufnahme die eigene Stimme zu hören. Oder die erste Video-Aufnahme: Man schaut aus der Perspektive eines anderen Menschen auf sich selbst, aus Blickwinkeln, die man im Spiegel nie zu sehen bekommt, dazu bewegt sich das Bild und man hört sich vielleicht auch noch selbst reden. Die eigene innere Wahrnehmung wird mit der scheinbar objektiven Wahrnehmung des Videos konfrontiert.

Von ganz ähnlicher Qualität ist die erste Begegnung mit dem geschrumpften Ebenbild aus Gips. Nein, man hat keine Phantomschmerzen, wenn jemand die Figur mit einem Zahnstocher piekt, und ich bekomme auch keinen Muskelkater davon, wenn ich das Foto oben länger anschaue (so ein auf die rund zehnfache Größe aufgeblasener Bleistift würde sicher ein paar Kilo wiegen…). Aber solche fotorealistischen 3D-Figuren sind eine neue Darstellungsform, mit der man erst mal einen Umgang finden muss – so wie sich vor ein paar Generationen Menschen an die damals neue Porträtfotografie gewöhnen mussten, die Bildnisse stets nur als Gemälde und Zeichnungen kannten (die zudem nur den Reichen und Vornehmen vorbehalten waren).

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Derzeit fühlt sich ein solcher 3D-Scan mit folgendem 3D-Druck wie etwas an, was man vielleicht nur einmal im Leben macht – so wie man das im 19. Jahrhundert vielleicht vom Fotoporträt dachte. Deshalb habe ich für meinen Scan auch mein Lieblings-Ringelhemd angezogen. Und mich entschieden, den 3D-Raum ohne Schuhe zu betreten – weil ich mich so wohlfühle. Womit ich nicht gerechnet habe: Dass meine Figur barfuß ist, scheint manche meiner Bekannten mehr zu irritieren als die Tatsache, dass es mich jetzt zweimal in zwei verschiedenen Größen gibt.

Ein Kajak voll Assoziationen

Die englische Webseite Instructables.com ist ja immer für eine überraschende Bastelidee gut. Vorgestern wies deren Twitter-Kanal auf eine Baubeschreibung hin, die mich immer noch beschäftigt.

Das Community-Mitglied johntonta hat sich ein Kajak gebaut, auf ganz traditionelle Weise, ähnlich wie die Inuit über Jahrhunderte ihre Boote gefertigt haben. Jene verwendeten dafür früher zum Beispiel die Rippen erlegter Wale und Robbenhaut. In der Arktis war so was eben zur Hand und machte sich auf diese Weise noch nützlich.
John hat dieses Prinzip übertragen und zu Material gegriffen, das in seiner natürlichen Umgebung ebenfalls leicht zu bekommen ist: Das Gerippe seines Kajaks besteht aus Schreibtischholz, zusammengebunden mit Kabeln aus Computern. Überzogen ist es mit einer Haut aus – ja, Business-Anzügen.

Die Anzüge habe er aufgetrennt, schreibt er in seiner Bauanleitung Turn your office into a kayak, dann daraus eine große zusammenhängende Bahn genäht, diese anschließend um das Gerippe gewickelt und mit einer Mischung aus Öl und Wachs wasserfest imprägniert.

Offenbar wollte John einfach nur ein Boot bauen und hat bei der Materialauswahl etwas um die Ecke gedacht. Ich hätte allerdings keine Scheu, seinen Kajak in eine Galerie und damit einen Kunst-Kontext zu stellen. Ich finde, dass das Boot eine richtig gute künstlerische Arbeit abgäbe – so viele Assoziationen und Metaphern sind da mit an Bord.

Sie beschäftigen mich nachhaltig.

Gibt es die "Santa Maria" wirklich noch?

Wer sich für Seefahrtgeschichte interessiert, dessen Fantasie wird durch die folgende Meldung mächtig angeregt: Angeblich hat der US-amerikanische Taucher und Historiker Barry Clifford ein schon seit 2003 vor Haiti gefundenes Schiffswrack jetzt als Überrest der Santa Maria identifiziert – des Flaggschiffes von Christoph Columbus auf seiner ersten Fahrt über den Antlantik in Richtung Westen, das dadurch zum wahrscheinlich berühmtesten Schiff aller Zeiten wurde. Am 24. Dezember 1492 lief es allerdings auf eine Sandbank vor der Insel Hispaniola, rollte aufgrund seiner Rumpfform bei ablaufendem Wasser auf die Seite, schlug leck und wurde am folgenden Tag aufgegeben.

Den Schlüssel zur angeblichen Identifizierung habe die Position des Wracks geliefert, schreibt die Süddeutsche Zeitung – in der Nähe seien 1977 bereits die Reste des von Columbus‘ Mannschaft errichteten Forts La Navidad gefunden worden. Auch die Größe soll hinkommen, zudem habe man Steine aus dem Ballast des Schiffes entdeckt, die „mit hoher Sicherheit aus Spanien stammen“ – ganz wie die Santa Maria.

Schaut man sich das Video bei CNN an, beschleicht einen allerdings der Eindruck, dass vom berühmtesten Schiff aller Zeiten auch gar nicht viel mehr übrig ist als dieser Haufen Ballaststeine. Das wundert nicht: Nach über 500 Jahren in seichtem tropischen Wasser existiert von einem reinen Holzschiff garantiert nur noch das, was tief im Sand gesteckt hat – ein Stückchen Kiel, ein paar Bodenstücke von Spanten, die eine oder andere Planke und eben der Steinballast.
Verwunderlicher fand ich eher, mit welchem Bild die Süddeutsche Zeitung ihren Artikel illustriert. Denn das zeigt ganz zweifelsfrei ein Schiff aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, noch dazu eines niederländischer Bauart:

Ich gebe ja zu, dass ich zuerst dachte, dass das ein typischer Fall von historischer Großzügigkeit sei, nach dem Motto: „Segelschiff ist Segelschiff, und weil keiner weiß, wie die Santa Maria ausgesehen hat, kann man eben irgendein Bild nehmen – Hauptsache drei Masten.“

Allerdings lautet die Bildunterschrift: „Die Santa Maria auf einem Gemälde von Andries van Eertvelt im National Maritime Museum in Greenwich, London“.

Das machte mich dann doch stutzig und ich schaute mal auf der Webseite des National Maritime Museum in Greenwich nach, was denn die Kolleginnen und Kollegen bei der SZ bewogen haben mochte, ausgerechnet diesem Schiff die Santa Maria zu sehen.

Die Erklärung ist simpel: Das Bild aus dem Jahr 1628 heißt schlicht The ‚Santa Maria‘ at Anchor und sollte als frühes Historienbild eine damals schon rund 130 Jahre zurückliegende Szene zeigen. Der Maler Andries van Eertvelt dachte sich offenbar: „Segelschiff ist Segelschiff, und weil keiner weiß, wie die Santa Maria ausgesehen hat, kann ich eben irgendein Schiff malen – Hauptsache drei Masten.“ Also pinselte er zwar ein südeuropäisches Meer und eine Küste, wie er sie auf seiner Reise nach Italien kennengelernt hatte, da hinein aber ein Schiff, dass er täglich auf der Nordsee sehen konnte, nach dem Stand der Technik des 17. Jahrhunderts.
In der abendländischen Malerei haben solche Zeitverschiebungen eine lange Tradition, deshalb spielen sich so viele biblische Geschichten in europäischen mittelalterlichen Städten ab, bevölkert von Heiligen, Jüngern und Philistern, die nach dem letzten Schrei der Spätgotik gekleidet sind … Aus dem ausgehenden Mittelalter kannte ich das. Dass es sowas noch im goldenen Zeitalter der niederländischen Barockmalerei gegeben hat, war mir neu.

Nachtrag am 14. Mai 2014: Inzwischen berichtet die Süddeutsche Zeitung schon über Zweifel an der Identität des Schiffes.

Mehr Bilder fürs Netz – und ganz legal

Na, das ist mal ein Ding: Die Getty Collection stellt Bloggern ihre Bilder zum Einbetten zur Verfügung – und zwar kostenlos. Jedenfalls für nicht kommerzielle Zwecke (bei aller Unschärfe dieses Begriffs).

ABER (1): Diese Regelung gilt nicht für alle Bilder aus der Sammlung, sondern nur für bestimmte.

ABER (2): Getty Images behält sich vor, die Darstellungen jederzeit zu entfernen. Das geht, weil man die Bilder nicht herunterladen und auf seinem eigenen Speicher zwischenpuffern kann, sondern nur über einen Codeschnipsel einbindet.

ABER (3): Getty kann und darf laut Nutzungsbedingungen (über den eingebetteten Code) auch Daten sammeln und Werbung einblenden.

ABER (4): Die spezielle Suche für Bilder zum Einbetten liefert auch manche Treffer, für die es gar keinen entsprechenden Code gibt. Sein Blog-Post mit einem passenden Bild zu illustrieren, kann also etwas Aufwand bedeuten.

Ich bin hin- und hergerissen: Einerseits besitzt Getty eine irrsinnige Sammlung an Fotos, gerade auch mit etlichen historischen Bildern, mit denen sich dickleibige und sehenswerte Bildbände über die Geschichte des Fotojournalismus füllen lassen. Die Vorstellung, all dieses Material (na gut – einen Teil davon) einfach so im redaktionellen Kontext benutzen zu können, ist schon toll. Doch da sind die oben ausgeführten ABER (1–4).

Ehrlich gesagt: Mich nervt zur Zeit (da von Werbung noch nichts zu sehen ist), das vierte ABER am meisten. Schon jetzt. Es hat eine halbe Stunde gedauert, bis ich endlich ein Bild als Beispiel gefunden habe, was in dieses Blog passt, was mir gefällt und was sich einbetten lässt. Hier ist es: Computerei so um 1950.

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Kein Dampf ohne Rauch

Wo eine Dampfmaschine Dienst tut, ist Qualm nicht weit. So sieht es jedenfalls auf Fotos aus jener Zeit aus, als Dampfmaschinen noch die einzige ernstzunehmende Kraftquelle für Großtechnik wie Lokomotiven, Schiffe oder Fabriken waren. Hier zwei Beispiele aus der Commons-Sammlung von Flickr: Oben qualmen im Jahr 1915 der australische Truppentransporter Warilda und ein Schlepper um die Wette, unten läuft die Mauretania 1907 zu ihrer Jungfernfahrt aus.

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Mauretania

Auch heute bekommt man gelegentlich noch die Gelegenheit, eine Dampfmaschine aus nächster Nähe in Aktion zu erleben – zum Beispiel im Hamburger Museumshafen Oevelgönne, an Bord des Schleppers Tiger. Die Tiger ist mit ihrem Baujahr 1910 nur wenige Jahre jünger als die Mauretania und ihr Fünf-Kubikmeter-Kessel wird nach wie vor mit Kohle geheizt.

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Eher durch Zufall gerieten wir heute vor genau vier Jahren an Bord der Tiger, an einem Tag, an dem die Wasseroberfläche der Elbe praktisch völlig unter Eisschollen verschwand und der Himmel grau verhangen war. An Deck wärmte der Glühwein, unter Deck das Kohlenfeuer unter dem Kessel. Es wurde eine unvergessliche Hafenrundfahrt, kreuz und quer zwischend den Containerriesen hindurch, im Schritttempo durch die schmalsten Lücken und dauernd vom Eis umgeben.

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An den Landungsbrücken gingen wir nach gut zwei Stunden von Bord und konnten dann das 17-Meter-Schiff auf dem gegenüberliegenden Elbufer davondampfen sehen (oben ganz links, klein und schwarz im Bild). Die Rauchfahne aus dem Schornstein wurde sicher durch die kalte Luft verstärkt (die Temperatur lag den ganzen Tag über knapp unter Null) und war ziemlich imposant. Im Vergleich mit den Bildern von vor hundert Jahren fällt aber auf, dass der Qualm aus der Ferne eher weiß als schwarz aussieht.

Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man Fotos von Dampfern auf der Elbe betrachtet, die im Sommer aufgenommen wurden: Oben wieder die Tiger, unten die Schaarhörn, deren Kessel ebenfalls noch mit Kohle befeuert wird.

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Schaarhoern

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was der Grund für den weißen Rauch aus den Schornsteinen der Museumsschiffe im 21. Jahrhundert ist. Allerdings verschleiert die Assoziation Dampfmaschine → Qualm die Tatsache, dass die Heizenergie theoretisch auf beliebige Art und Weise erzeugt werden könnte, je nachdem unter mehr oder weniger Produktion von Qualm. Würde man den Kessel beispielsweise elektrisch heizen, bräuchte man gar keinen Schornstein mehr, weil kein Rauch abzuführen wäre. Ok, ich gebe zu, das ist technisch eine blödsinnige Idee – als Gedankenspiel finden ich es aber interessant.

Tatsächlich werden sogar heute noch neue Dampfmaschinen gebaut, von der schweizerischen Dampflokomotiv- und Maschinenfabrik DLM in Winterthur. Die werden mit Leichtöl befeuert und von ihrem Hersteller mit dem Slogan modern steam beworben. Der nach diesem Prinzip umgerüstete Genfer-See-Dampfer Montreux fährt jetzt völlig ohne Qualm über dem Schornstein, aber dennoch mit Dampf:

Ein bisschen seltsam sieht das Bild für mich aber dann doch aus. Es zeigt einen Dampfer in flotter Fahrt, dem man aber die Dampfmaschine unter Deck gar nicht ansieht. Irgendwas fehlt. Am Ende ist es dann doch der Qualm, der das nostalgische Klischee komplettieren würde. Ich denke: Säße ich am Ufer des Genfer Sees und zeichnete die Montreux im Vorbeifahen, ich würde ihr eine dunkle Wolke über den Kamin setzen. Realismus hin oder her.