Flying Circuits – warum eigentlich?

Hinweis: Dieser Beitrag wurde geschrieben, als dieses Blog noch Flying Circuits hieß und unter folgendem Headerbild erschien:

Als ich Kind war, bekam mein Vater mal ein Buch geschenkt, das Der fliegende Zirkus der Physik hieß. Auf dem gezeichneten Cover war ein ziemlich fusseliger Pilot zu sehen, der ein reichlich handgestrickt wirkendes Flugobjekt offenbar souverän in der Luft hält – sicher unter geschickter Ausnutzung allerlei physikalischer Phänomene, die das Buch erklärte. (Das Buch gibt es bis heute zu kaufen, das Cover sieht inzwischen allerdings anders aus.)

Dass man eine bunte Zusammenstellung unterhaltsamer Dinge als Fliegenden Zirkus bezeichnen kann, hat sich damals bei mir festgesetzt. Und als ich Jahre später auch noch Monty Python’s Flying Circus entdeckte, bestätigte sich das nochmals.

Flying Circuit

Wieder viel später suchte ich einen Namen für ein geplantes Blog, das sich auf bunte Weise mit Technik beschäftigen sollte. Inzwischen war ich Informatiker und Journalist geworden, arbeitete bei der Computerzeitschift c’t, und dachte deshalb beim Stichwort Technik auch an Elektronik. Die fasziniert mich, auch wenn (oder gerade weil) sie bis heute alles andere als meine Kernkompetenz ist. Liest man im Internet viel über Elektronik, taucht dabei gehäuft der Begriff circuit auf, englisch für Schaltkreis. Und irgendwann fiel der Groschen: Fügt man in einen Flying Circus zwei zusätzliche Buchstaben ein, werden daraus Flying Circuits, also fliegende Schaltkreise, was ziemlich genau die hochfliegende Vision beschreibt, die ich für mein Blog hatte. Die steckt heute noch im – inzwischen eher ironischen – Motto: „Irgendwann baue ich Vakuumluftschiffe, analoge Synthesizer und Radiermaschinen.“

Doppeldeutig

Ja, Englisch ist für mich eine echte Fremdsprache. Ich verstehe zwar ziemlich viel, aber manches eben doch nicht in allen Facetten. So fiel mir auch erst viel später beim Googlen auf, dass Flying Circuits im Englischen nicht in erster Linie ein Wortspiel ist, sondern eine ganz klare Bedeutung hat: Damit bezeichnet man Rundkurse, die ein Flugzeug fliegt, etwa bei der Pilotenausbildung zum Üben von Start und Landung, aber auch die Warteschleifen bis zur Landeerlaubnis, die eine Verkehrsmaschine über einem verkehrsreichen Flughafen dreht.

Ehrlich gesagt: Inzwischen gefällt mir diese zweite Bedeutung sehr gut. Denn wie das Motto dieses Blogs schon betont, baue ich die Vakuumluftschiffe, analogen Synthesizer und Radiermaschinen ja erst irgendwann – und bis dahin lasse ich mich von allem möglichen ablenken, was mich interessiert und was im weitesten Sinne mit Technik, Geschichte und Ästhetik zu tun hat. Ich ziehe auch in diesem Blog viele gewundene Warteschleifen – der Treibstoff kann mir dabei ja glücklicherweise nicht ausgehen.

Flying Circus, mal wörtlich genommen


Fußnote: Die englische Wikipedia definiert einen Flying Circus auf der Begriffsklärungsseite als Truppe von Barnstormers. Solche Scheunenstürmer zogen in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg mit ihren Flugzeugen, die aus der Rüstungsproduktion übriggeblieben waren, als Schausteller der Lüfte durch die ländlichen Gegenden in den USA. Sie boten Rundflüge an, veranstalteten aber auch Flugshows mit spektakulären Vorführungen, bei denen sie etwa durch Scheunen flogen – daher ihre Bezeichnung. Wer gerne mal selbst ausprobieren will, wie sich das anfühlt: Im Flight Simulator 2004 von Microsoft gibt es ein passendes Szenario, zu absolvieren mit einer etwas zurückhaltend motorisierten Curtiss JN-4 „Jenny“.

Eigentlich ist der Begriff Flying Circus aber noch ein paar Jahre älter und stammt direkt aus dem ersten Weltkrieg, was ihm einen bitteren Beigeschmack verleiht, jedenfalls für einen Pazifisten wie mich. Im Jahr 1917 wurde rund um den Jagdflieger Manfred von Richthofen ein Elite-Geschwader gebildet, das in Zelten kampierte und samt Flugzeugen, Sack und Pack per Lastwagen von Einsatzort zu Einsatzort gekarrt wurde wie ein Wanderzirkus. Außerdem waren die Flugzeuge der Truppe knallbunt bemalt, sah eher nach Schaustellerei als nach Militär aus – man setzte bewusst auf Warnfarben statt auf die sonst üblichen Tarnfarben. Beides zusammen brachte dem Geschwader bei den Briten den Namen Richthofen’s Flying Circus ein. Ich hoffe allerdings, dass es den meisten heutzutage geht wie mir: Dass sie bei Flying Circus eher an John Cleese & Co. als an den Roten Baron denken.

Die gute böse Tante Ju

Am vergangenen Samstag ist die letzte flugfähige und in Deutschland zugelassene Maschine des Typs Junkers Ju 52/3m von der Kulturbehörde in Hamburg als „bewegliches Denkmal“ unter Schutz gestellt worden. Ein Fest für viele Technik-Nostalgiker. Und ich muss zugeben: Auch ich laufe zum nächsten Fenster und versuche, den silber-schwarzen Wellblechvogel zu erspähen, sobald ich das unverwechselbare Brüllen seiner drei Pratt&Whitney-Wasp-Sternmotoren höre.

Ju2014

Doch ein gewisses Unbehangen ist immer dabei, als werfe das fliegende Museumsstück einen langen kalten Schatten auf die Erde. Dabei ist das Image der „Tante Ju“ in Deutschland überwältigend positiv. Es beruht auf einer – einseitigen – kollektiven Erinnerung an die Maschine als sagenhaft zuverlässiges Verkehrsflugzeug, das sich mit einer kurzen (auch behelfsmäßigen) Start- und Landebahn begnügte und auch aus schwierigen Situationen eigentlich immer wieder rauskam. Die Ju 52 ist offenbar immer noch ein derart ein starker Sympathieträger, dass die Lufthansa in den 90er Jahren ein altes Plakatmotiv mit ihr als Werbung auf Postkarten druckte, als nostalgische Reminiszenz an eine gute alte Zeit:

AuchImWinter

Gute alte Zeit? Die ersten Exemplare der Ju 52 wurden zwar schon 1932 ausgeliefert, aber ihre große Zeit erlebte die „Tante Ju“ im nationalsozialistischen Deutschland – als Passagier- oder Frachtflugzeug im zivilen Einsatz, aber auch als Militärmaschine. Mehr noch: Lange bevor es den Begriff des „Dual-Use“ überhaupt gab (heute bezeichnet er die prinzipielle Verwendbarkeit einer Sache sowohl für zivile als auch militärische Zwecke), war die Ju 52 gezielt für genau diesen Doppelnutzen entworfen worden: Das Reichswehrministerium nahm großen Einfluss auf die Entwicklung der Maschine, mit der Folge, dass am Ende jede jemals gebaute Ju 52 ohne Umbauten auch direkt im Krieg eingesetzt werden konnte. So gab es eine Ladeluke an der Rumpfoberseite, die den nachträglichen Einbau eines Maschinengewehrstandes ermöglichte. Zwischen den beiden Hälften des geteilten Fahrgestells war genügend Platz, um Bomben aufzuhängen. Die wurden zum Beispiel im spanischen Bürgerkrieg von den Ju-52-Maschinen der deutschen Legion Condor auf die baskische Stadt Guernica abgeworfen.

Wenn jetzt die letzte deutsche Ju 52 offiziell zum fliegenden Denkmal gekürt wird, sollte auch aktiv an ihre dunkle Seite erinnert werden. Sonst geht man vor lauter Techniknostalgie der Mär einer guten alten Zeit am Ende noch auf den Leim.

High-Tech in der Küche

Gestern haben wir Plätzchen in Form von Zahnrädern gebacken. Das Ausstechförmchen dazu stammt aus dem 3D-Drucker, die Vorlage dafür entstand wiederum durch das Zusammenspiel des Open-Source-Vekorgrafikprogramms Inkscape mit dem 3D-Webdienst Tinkercad. Wie sich das im Detail abgespielt hat, steht in der kommenden Ausgabe der c’t Hacks, die noch rechtzeitig vor Weihnachten am Kiosk liegt.

zahnradkekse

Wer will, kann sich die Druckvorlage für das Zahnradförmchen aber schon mal bei Sketchfab herunterladen. Inzwischen kann ich das 3D-Modell davon sogar interaktiv ins Blog einbetten – beim alten Hoster WordPress.com ging das nicht, weil der keine iframes unterstützt. Das finde ich schön, denn die dreh- und zoombare Darstellung macht wirklich was her. Zudem kann man einige Hinweisziffern ins Modell klicken und diese mit Detail-Informationen beschriften, was ich einfach mal ausprobieren musste.

 

Als ich nach dem Ausstechen mit der 3D-gedruckten Form so in der Küche stand und mit einem Cocktailspießchen vorsichtig die runden Teigscheibchen aus den Achsenlöchern der Zahnräder prokelte, fiel mir plötzlich ein, woran mich das ganze erinnerte – an einen Donald-Duck-Film, den ich mal in den Siebzigern im Kinderprogramm gesehen hatte. Da werden ebenfalls Zahnräder gebacken. Und auch noch in anderer Hinsicht passt der Film (von 1944!) zum Thema 3D-Druck …

Utopie: Innerstädtischer Nahflugverkehr

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tauchten die ersten Flugapparate am Himmel auf, Symbole einer neuen Zeit und ihrer Technik. Prompt machte sich in den Köpfen mancher Visionäre die Vorstellung breit, in der Stadt der Zukunft werde man sich nicht nur mit Hoch- oder Untergrundbahnen, zu Fuß und mit dem Auto fortbewegen, sondern ebenso selbstverständlich per Flugzeug durch die Häuserschluchten der Metropolen kreuzen. Eine solche Szene sieht man zum Beispiels in Fritz Langs Stummfilm Metropolis von 1925/26:

https://youtu.be/skY2eDN7CoE?t=18m16s

Es gab auch einige Architekten und Stadtplaner, die diese Nahverkehrsvision ernsthaft in die Tat umsetzen wollten. Der futuristische Architekt Antonio Sant’Elia zum Beispiel zeichnete eine Serie von Entwürfen für eine Citta Nuova, eine neuen Stadt. Deren zentraler Bahnhof sollte auf seinem Dach einem kompletten Flughafen Platz bieten:

Die Skizze oben zeigt die Zentralstation aus der Perspektive eines Pilots im Endanflug. Die Einflugschneise wäre parallel zu den Gleisen und Schnellstraßen im Vordergrund verlaufen. Im Bahnhofsgebäude unter dem Rollfeld hätte man dann auf dem kurzen Fußweg das Verkehrsmittel wechseln können.

Sant’Elias Entwurf stammt von 1914, war für Mailand gedacht und wurde nie realisiert. Elf Jahre später (und nach Sant’Elias Tod) griff der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright die Idee wieder auf, als er sich 1925 Gedanken über ein neues Stadtzentrum von Los Angeles machte:

Auch diese Vision wurde nie umgesetzt.

Wenn man genau hinschaut (zum Vergrößern bitte klicken!), erkennt man auf Wrights Entwurf über dem Stadtzentrum nicht nur normale Flugzeuge, sondern auch Luftschiffe. Und für deren Abfertigung in Innenstädten wurden tatsächlich vereinzelt Vorbereitungen getroffen. Ich habe es ja lange für ein Gerücht gehalten, aber wie die New York Times schreibt, gab es tatsächlich den Plan, den Fuß der Antenne auf dem Dach des Empire State Building in New York als gigantischen Poller fürs Vertäuen von Zeppelinen zu benutzen. Die Deutschen, die New York mit ihren Luftschiffen LZ 127 (Graf Zeppelin) und LZ 129 (Hindenburg) anliefen, hielten das für eine Schnapsidee und steuerten lieber das Flugfeld im rund 100 Kilometer entfernten Lakehurst an. Die Amerikaner hingegen haben wohl den einen oder anderen praktischen Versuch tatsächlich gewagt: Laut der New York Times machte im September 1931 ein Luftschiff behelfsmäßig für drei Minuten am Gebäude fest, bei satter Windstärke acht. Zwei Wochen später seilte ein Prallluftschiff (Blimp) einen Packen Zeitungen auf dem Dach des Empire State Building ab. Das war’s dann auch. Deshalb sind alle Bilder von vertäuten Zeppelinen an der Spitze des Wolkenkratzers Fotomontagen:

Oder sie stammen aus dem Computer wie diese Szene aus dem Spielfilm Sky Captain and the World of Tomorrow:

Es gab allerdings mal jemanden, der – zumindest für sich selbst – die Vision von individuellen Stadtbummel durch die Luft in die Tat umgesetzt hat: Der brasilianische Ingenieur und Lebemann Alberto Santos-Dumont baute während seiner Jahre in Paris eine Reihe von Luftschiffen und benutzte seine nur zehn Meter lange Konstruktion N°9 angeblich, um Freunde in der Stadt zu besuchen oder ins Restaurant zu fliegen. Es heißt, er sei auf der Avenue Champs Èlysées oder in der Rue Washington gelandet und habe sein Luftschiff bei Zwischenstopps unterwegs einfach am nächsten Baum festgebunden. Das Luftschiff N°9, auch Baladeuse (Wandererin) genannt, hatte einen 3-PS-Motor und erreichte eine Geschwindigkeit von rund 25 Stundenkilometern – bei zu viel Gegenwind wird Santos-Dumont besser eine Droschke genommen haben.

Santos-Dumont ging es bei seinen Ausflügen sicher weniger um Bequemlichkeit und echte Zeitersparnis, dafür umso mehr um den Effekt. Er wird mit seinem Luftschiff ähnlich viel Aufsehen erregt haben wie im 19. Jahrhundert Fürst Pückler-Muskau, als er vor dem Berliner Café Kranzler seine Kutsche mit vier vorgespannten Hirschen parkte. Als Santos-Dumont später von den Luftschiffen zu Motorflugzeugen wechselte, war er zwar nicht der erste, der so ein Gerät in die Luft brachte, aber der erste, der seine Flüge als öffentliche Veranstaltungen zelebrierte. In die Luftfahrtgeschichte ging er als erfolgreichster Flugpionier seiner Ära ein, gemessen an den Preisen für Langstrecken- und Dauerrekorde, die er einheimste.

Um Publicity (oder schlicht: Reklame) ging es wahrscheinlich auch, als der Pilot Antonius Raab am 8. Juni 1923 morgens um acht mit seiner Maschine in Berlin Unter den Linden auf der Straße landete. Raab erzählte der Polizei, es sei eine Notlandung gewesen. Am nächsten Tag stand die Geschichte groß in den Zeitungen und der Hersteller des Flugzeugs, das Stahlwerk Mark, warb anschließend in Anzeigen ganz unverholen mit der glatten Landung der Maschine auf der Fahrbahn. Der vom Stahlwerk in Lizenz gebaute kleine Hochdecker Rieseler III/22 hätte sich somit zumindest theoretisch für den innerstädtischen Flugverkehr geeignet.


In den fünfziger und sechziger Jahren war dann der Hubschrauber serienreif und beflügelte die Idee des urbanen Nahverkehrs durch die Luft aufs neue. Zur Zeit ist im Historischen Museum in Hannover die Ausstellung Stadtbilder. Zerstörung und Aufbau zu sehen. Dort sieht man auf einer Projektskizze von Karl Cravatzo von etwa 1960 einen bananenförmigen Doppelrotor-Hubschrauber hoch über einer Startplattform schweben, die über die Bahnsteige des Hauptbahnhofs gebaut ist. Auch diese Plattform wurde nie errichtet. Hubschrauberverkehr gibt es aber dennoch über der Stadt: bei Fußballspielen, bei Großveranstaltungen, bei Polizeieinsätzen. Nicht zu vergessen: der Hubschrauberlandeplatz der Medizinischen Hochschule, der in ungefähr 200 Metern Luftlinie vor meinem Bürofenster liegt. Wenn von dort aus mal wieder der Rettungshubschrauber im Einsatz knapp über meinen Schreibtisch donnert, dann bin ich mir sicher: Von solchen Notfällen abgesehen ist innerstädtischer Nahflugverkehr keine gute Idee.