Klassiker in Not – der Utah Teapot

Die Friesland Porzellanfabrik in Varel hat gestern angekündigt, zu Ende März 2019 nach 65 Jahren dichtzumachen. Das ist natürlich traurig – nicht nur, weil das Unternehmen seine Waren ausschließlich hierzulande produziert und dadurch viele Arbeitsplätze verloren gehen. Sondern auch, weil die Firma seit Jahrzehnten einen weltberühmten Star produziert, den paradoxerweise aber kaum jemand in der Porzellanabteilung suchen würde: den Utah Teapot.

(Bild: Friesland Porzellan)

Diese Teekanne kennen viele nämlich nicht aus der realen Welt, sondern aus dem virtuellen 3D-Raum. 1975 benötigte der Computergrafikforscher Martin Newell von der University of Utah einen mathematisch einfach zu beschreibenden, aber attraktiven Gegenstand und modellierte die Teekanne seiner Frau Sandra in 3D nach. Die Kanne wiederum war zwar in den USA gekauft worden, stammte aber ursprünglich aus Deutschland, eben aus jener Friesland Porzellanfabrik, welche die Kanne zwischen 1954 und 1991 unter dem Markennamen „Melitta“ herstellte. Produziert wird sie bis heute, in drei verschiedenen Größen, und inzwischen unter der Bezeichnung Utah Teapot.

Zwischendrin hieß sie auch mal schlicht „Haushaltsteekanne“. Denn in Varel hatte man lange Zeit gar keine Ahnung, welche Karriere der virtuelle Zwilling mittlerweile hingelegt hatte, wie die Kollegen von Radio Bremen bei einem Besuch in Varel im Mai erfuhren. Unbemerkt von der Porzellanfabrik mauserte sich die Daten-Version des Utah Teapot bald nach ihrer Modellierung durch Newell zu einem Standardobjekt in der frühen 3D-Computergrafik. Später, als ihre relativ schlichte Form für modernere Hardware und Render-Algorithmen keine Herausforderung mehr darstellte, hatte sich ihre typische Form bereits so im kollektiven Nerd-Gedächtnis eingebrannt, dass sie zum klassischen Meme wurde. Grafiker und Programmierer spendierten dem Teapot gerne Cameo-Auftritte in Animationsfilmen wie Toy Story oder auch in 3D-Software bis hin zum Windows-Bildschirmschoner.

Der „originale“ 3D-Utah-Teapot ist allerdings etwas anders geformt als das „echte“ Original von Friesland. Angeblich zeichnete Newell direkt am Teetisch eine Skizze der Kanne auf Papier und baute sie auf Grundlage seiner Zeichnung in der Uni in 3D nach.

Wer selbst noch einen realen, originalen Utah Teapot sein eigen nennen möchte, muss sich wohl leider sputen, denn wenn die Friesland Porzellanfabrik ihren Betrieb im kommenden Jahr einstellt, wird es irgendwann keine dieser Klassiker mehr zu kaufen geben. Aber vielleicht ergibt es ja so eine Art Crowdfunding, wenn jetzt noch genügend Leute ihrer Teekannensammlung dieses besondere Stück hinzufügen … Wir haben jedenfalls gerade eine bestellt.

Flying Circuits – warum eigentlich?

Hinweis: Dieser Beitrag wurde geschrieben, als dieses Blog noch Flying Circuits hieß und unter folgendem Headerbild erschien:

Als ich Kind war, bekam mein Vater mal ein Buch geschenkt, das Der fliegende Zirkus der Physik hieß. Auf dem gezeichneten Cover war ein ziemlich fusseliger Pilot zu sehen, der ein reichlich handgestrickt wirkendes Flugobjekt offenbar souverän in der Luft hält – sicher unter geschickter Ausnutzung allerlei physikalischer Phänomene, die das Buch erklärte. (Das Buch gibt es bis heute zu kaufen, das Cover sieht inzwischen allerdings anders aus.)

Dass man eine bunte Zusammenstellung unterhaltsamer Dinge als Fliegenden Zirkus bezeichnen kann, hat sich damals bei mir festgesetzt. Und als ich Jahre später auch noch Monty Python’s Flying Circus entdeckte, bestätigte sich das nochmals.

Flying Circuit

Wieder viel später suchte ich einen Namen für ein geplantes Blog, das sich auf bunte Weise mit Technik beschäftigen sollte. Inzwischen war ich Informatiker und Journalist geworden, arbeitete bei der Computerzeitschift c’t, und dachte deshalb beim Stichwort Technik auch an Elektronik. Die fasziniert mich, auch wenn (oder gerade weil) sie bis heute alles andere als meine Kernkompetenz ist. Liest man im Internet viel über Elektronik, taucht dabei gehäuft der Begriff circuit auf, englisch für Schaltkreis. Und irgendwann fiel der Groschen: Fügt man in einen Flying Circus zwei zusätzliche Buchstaben ein, werden daraus Flying Circuits, also fliegende Schaltkreise, was ziemlich genau die hochfliegende Vision beschreibt, die ich für mein Blog hatte. Die steckt heute noch im – inzwischen eher ironischen – Motto: „Irgendwann baue ich Vakuumluftschiffe, analoge Synthesizer und Radiermaschinen.“

Doppeldeutig

Ja, Englisch ist für mich eine echte Fremdsprache. Ich verstehe zwar ziemlich viel, aber manches eben doch nicht in allen Facetten. So fiel mir auch erst viel später beim Googlen auf, dass Flying Circuits im Englischen nicht in erster Linie ein Wortspiel ist, sondern eine ganz klare Bedeutung hat: Damit bezeichnet man Rundkurse, die ein Flugzeug fliegt, etwa bei der Pilotenausbildung zum Üben von Start und Landung, aber auch die Warteschleifen bis zur Landeerlaubnis, die eine Verkehrsmaschine über einem verkehrsreichen Flughafen dreht.

Ehrlich gesagt: Inzwischen gefällt mir diese zweite Bedeutung sehr gut. Denn wie das Motto dieses Blogs schon betont, baue ich die Vakuumluftschiffe, analogen Synthesizer und Radiermaschinen ja erst irgendwann – und bis dahin lasse ich mich von allem möglichen ablenken, was mich interessiert und was im weitesten Sinne mit Technik, Geschichte und Ästhetik zu tun hat. Ich ziehe auch in diesem Blog viele gewundene Warteschleifen – der Treibstoff kann mir dabei ja glücklicherweise nicht ausgehen.

Flying Circus, mal wörtlich genommen


Fußnote: Die englische Wikipedia definiert einen Flying Circus auf der Begriffsklärungsseite als Truppe von Barnstormers. Solche Scheunenstürmer zogen in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg mit ihren Flugzeugen, die aus der Rüstungsproduktion übriggeblieben waren, als Schausteller der Lüfte durch die ländlichen Gegenden in den USA. Sie boten Rundflüge an, veranstalteten aber auch Flugshows mit spektakulären Vorführungen, bei denen sie etwa durch Scheunen flogen – daher ihre Bezeichnung. Wer gerne mal selbst ausprobieren will, wie sich das anfühlt: Im Flight Simulator 2004 von Microsoft gibt es ein passendes Szenario, zu absolvieren mit einer etwas zurückhaltend motorisierten Curtiss JN-4 „Jenny“.

Eigentlich ist der Begriff Flying Circus aber noch ein paar Jahre älter und stammt direkt aus dem ersten Weltkrieg, was ihm einen bitteren Beigeschmack verleiht, jedenfalls für einen Pazifisten wie mich. Im Jahr 1917 wurde rund um den Jagdflieger Manfred von Richthofen ein Elite-Geschwader gebildet, das in Zelten kampierte und samt Flugzeugen, Sack und Pack per Lastwagen von Einsatzort zu Einsatzort gekarrt wurde wie ein Wanderzirkus. Außerdem waren die Flugzeuge der Truppe knallbunt bemalt, sah eher nach Schaustellerei als nach Militär aus – man setzte bewusst auf Warnfarben statt auf die sonst üblichen Tarnfarben. Beides zusammen brachte dem Geschwader bei den Briten den Namen Richthofen’s Flying Circus ein. Ich hoffe allerdings, dass es den meisten heutzutage geht wie mir: Dass sie bei Flying Circus eher an John Cleese & Co. als an den Roten Baron denken.

Allegorien auf die Zukunft von gestern

Das Göteborger Kunstmuseum ist ein leicht wuchtig geratenes Gebäude aus den 20er Jahren, mit reichlich Treppenstufen davor, die zwischen den mächtigen Säulen und unter den Rundbögen der Fassade irgendwie in einem zugigen Nichts enden. Hat man sich aber im Inneren geduldig ganz nach oben gearbeitet, findet man dort die sogenannte Fürstenberg-Galerie. Diese erhielt ihren Namen nach dem Kunstmäzen Pontus Fürstenberg (1827–1902), der besonders die skandinavischen Künstler kurz vor der Jahrhundertwende wie Carl Larsson, Ernst Josephson und Anders Zorn förderte und ihre Werke kaufte.

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Die Räume dieser Galerie – in denen man unter anderem Bilder der ebengenannten Maler findet – wirken, als wären sie älter als das Gebäude selbst, das sie beherbergt. Die Innenausstattung mit farbigen Wänden, Stuck an der Decke, Eichenparkett, Teppichen und historisierenden dunklen Holzmöbeln sieht so gar nicht nach der Zeit des Nordischen Klassizismus aus, in dessen Geist das Kunstmuseum gebaut wurde. Vermutlich hat man in der Fürstenberg-Galerie die Szenerie älterer Räumlichkeiten nachgebaut, mit allen Dekorationselementen.

Diese Dekoration ist in der Tat ungewöhnlich: Auf den Stuckfriesen, üben denen die Wände in einer großzügigen Hohlkehle in die Decke übergehen, tummeln sich sechs allegorische Paare lebensgroßer Akte. Und während man gewohnt ist, dass solche Plastiken irgendwelche biblischen Tugenden oder Laster oder sonstige philosophische Konzepte verkörpern, hat dieses Dutzend Nackte viel handfesteres zu kommunizieren – moderne Technik.

Telefon

Das Telefon. Offensichtlich noch mit schlechter Tonqualität, die es erforderte, die Ohren scharf zu spitzen.

Kamera

Die Fotografie. Links macht sich das Modell hübsch, rechts nimmt die Fotografin den Deckel vom Objektiv ab, um die Belichtung zu starten.

Magnetismus

Das ist schon schwieriger. Dargestellt wird der Magnetismus, zu erkennen am Hufeisenmagnet. Die etwas weggetreten wirkende Dame links spielt vielleicht auf Franz Anton Mesmer an, der im 18. Jahrhundert Leuten Magneten aufgelegt haben soll, um sie zu hypnotisieren.

Dampf

Der Kessel in der Mitte macht es klar: Hier geht es um Dampf, damals das Mittel der Wahl zur Energieerzeugung. Auch wenn die beiden flankierenden Figuren eher benebelt wirken – oder wie kurz davor, sich wegen der Hitze von der höchsten Bank in der Sauna herunterzurollen.

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Die Elektrizität. Die beiden Figuren links und rechts holen sich Schläge an der Elektrisiermaschine in der Mitte. Das Medaillon ist leider auf dem Bild nur schlecht zu erkennen, aber die beiden hellen Punkte und der schwarze Fleck drumherum sind eine Katze auf der Schulter einer Dame – und ein mit Bernstein geriebenes Katzenfell war eines der frühen bekannten Beispiele für elektrostatische Aufladung.

Dynamit

Das ist wirklich schwer, ich musste auch erst auf den Erklärtext schauen: Diese Gruppe stellt das Dynamit dar – es erschreckt durch den Knall (wie man bei der Figur im Medaillon sieht) und ist in der Lage, Felsen zu spalten.

Die Figuren wurden samt und sonders vom wenig bekannten Bildhauer Per Hasselberg geschaffen. Bei den gemalten Medaillons waren verschiedene Künstler am Werk: Das Telefon-Bild schuf zum Beispiel Georg Pauli, der später einer der ersten Kubisten Schwedens wurde; den Dynamit-Schrecken pinselte Ernst Josephson, die elektrische Katze mit ihrer Besitzerin malte Carl Larsson.

Wie der Fortschritt Metaphern umpolt

Mein Büro-Mitbewohner kennt sehr viele Songs. Er beherrscht auch die Kunst, mir mit einer einzelnen gesummten Phrase oder gesungenen Zeile für den Rest des Tages einen Ohrwurm zu bescheren. (Ja, ich kenne offenbar ebenfalls viele Songs.)

Neulich reichten drei Worte von ihm – nothing ever happens – um mich 25 Jahre zurückzukatapultieren. Ende der 80er hörte ich viel Radio, fast ausschließlich SWF3, einen Sender, bei dem Leute wie Anke Engelke, Frank Plasberg und Claus Kleber als völlig unbekannte JungmoderatorInnen für den launigen bis albernen Ton zuständig waren.

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Je später der Radio-Abend wurde, desto mehr wuchs bei SWF3 aber auch die Chance, dass ich erfuhr, wie der Song und wie die Band hieß, die gerade zu hören waren – die Nummern wurden damals meist ausgespielt und dann sagte der Mensch am Mikrofon: „Das war Steely Dan mit dem Titel Reelin‘ in the years„. Zum Beispiel. Soviel Zeit war da.

Auf der Suche nach dem einen oder anderen Song, der selten über den Sender ging, mir aber im Kopf hängengebliegen war, legte ich mich ein wenig auf die Lauer. Das Radio – ein altes Ding, zwar schon mit Transistoren, aber noch in 60er-Jahre-Nussbaum-Optik – stand direkt auf meinem Schreibtisch, an dem ich Hausaufgaben machte und zeichnete. Stift und Papier waren also immer greifbar, und nach ein paar Wochen Geduld hatte ich dann den Titel und Interpret des gesuchten Songs schwarz auf weiß. Surfin‘ Bird von den Trashmen etwa oder später No Rain von Blind Melon.

Und eben: Nothing ever happens von Del Amitri, mein Ohrwurm vom Anfang. Dieser Song ist aus dem Jahr 1989 und manchmal höre ich ihn immer noch gerne, wenn es dunkel ist. Dass ich hier darüber schreibe, liegt aber am Text. Er widmet sich der nächtlichen Einsamkeit der Menschen in der modernen Welt und benutzt dafür als Metapher die sinnlos weiterlaufende Maschinerie der Alltagstechnik: Ampeln schalten auf rot, auch wenn da niemand ist, der fahren will. Überwachungskameras in Kaufhäusern zeigen täglich den selben (todlangweiligen) Film. Einfältige Leute schlafen bewusstlos wie betäubte weiße Labormäuse. (Und heute Nacht werden alle einsam sein, und morgen auch.)

Soweit, so kalt, so melancholisch. Doch auch: Sekretärinnen schalten Schreibmaschinen aus, bevor sie zum Mantel greifen und das Büro verlassen (immerhin sind die Schreibmaschinen schon elektrisch). Leute beschweren sich über Wiederholungen im Fernsehen, stimmt, das hat manche Menschen mal sehr bewegt. Telefone tauschen Klicks aus, analog zum alten Impulswahlverfahren. Computerterminals melden Kursschwankungen bei Kupfer und Zinn – handfestes Material im Vergleich zu Optionen, Zertifikaten und geschlossenen Imobilienfonds von heute. Und im Refrain: Die Nadel kehrt zum Anfang des Songs zurück und alle singen wieder mit.

Das ist heute nicht mehr kalt, modern und technisch, sondern nostalgisch. Warm. Etwas angestaubt. Gerade mal 25 Jahre her. Wie das Nußbaum-Radio auf meinem Schreibtisch, die energieverschwendende 40-Watt-Glühbirne mit dem warmen Licht in der Architektenlampe. Kein Computer. Kein Handy. Musik im Kopf. Ein Stift und ein Zettel. Zeit.

Spritztour zurück ins Jahr 1959

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Ich habe neulich „Das praktische Autobuch“ (Baujahr 1959) geschenkt bekommen. Darüber habe ich mich sehr gefreut, denn ich lese gerne Erklärungen über technische Dinge, insbesondere, wenn sie allgemein verständlich geschrieben sind. Prompt habe ich beim flüchtigen Durchblättern und Überfliegen einiger Seiten des praktischen Autobuchs wieder was gelernt: warum Autos mit Zweitaktmotoren eine Freilaufkupplung brauchen.

Bei Zweitaktern wird das Schmieröl dem Kraftstoff beigemischt. Würde man so einen Motor wie einen Viertakter ohne Sprit weiterlaufen lassen, sobald man Gas wegnimmt, der Wagen aber noch viel Fahrt drauf hat, liefe der Zweitaktmotor in diesem Moment ungeschmiert. Mit einem Freilauf kann der Motor stattdessen im Leerlauf weitertuckern und bekommt durchgehend Sprit und Schmierung. Die praktische Konsequenz davon: Zweitakt-Autos haben keine Motorbremse. Das in westdeutschen Fahrschulen geübte Runterschalten vor der Kurve bleibt in also vollkommen wirkungslos, falls man mal einen Trabant fahren sollte…

Das praktische Autobuch macht mir aber auch mit seiner grafischen Gestaltung viel Freude. Die eingestreuten Illustrationen sind nicht nur elegant im Strich; charmant finde ich auch, dass die Gestalter des Buches zum Beispiel den Abschnitt über „Schmieröle“ mit der Miniatur einer Laborszene illustrierten:

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Genauso stelle ich mir die fünfziger Jahre vor.

Neben den Strichzeichnungen auf den normalen Seiten sind auch noch Schwarzweiß-Foto-Tafeln und einige wenige Farbtafeln eingebunden. Die schönste ist diese hier:

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Sie zeigt die seinerzeit verbreiteten Bauarten anhand von drei gängigen Automodellen: Einem Opel Kapitän, einem VW Käfer sowie einem DKW (wahrscheinlich einem F93).

Was auffällt: wie wenig auf den Schemazeichnungen gelb markiert ist, also zur Elektrik gehört. Autos waren damals eher eine mechanische Angelegenheit, keine hochintegrierten mobilen Mechatroniksysteme wie heute. Unter der Haube hat sich viel getan. Darüber sieht man leicht hinweg, weil Autofahren im Prinzip heute noch ganz ähnlich funktioniert wie vor 55 Jahren: Gas rechts, Bremse in der Mitte, Kupplung links; ein Lenkrad, vier Räder, Blinkerhebel, Scheibenwischer, Fernlicht, Außen- und Innenspiegel … alles klar.

Aber in den Details beschreibt das praktische Autobuch eine fremde Welt. So gelten vollsynchronisierte Getriebe noch als etwas sehr neumodisches – zwischen den Zeilen kann man deutlich lesen, dass echte Könner auch mit einem rustikalen Schubradgetriebe klarkommen, weil sie gelernt haben, zwischen Aus- und Einkuppeln gefühlvoll Zwischengas zu geben. Auch warnt das Buch eindringlich davor, mit getretenem Kupplungspedal, aber eingelegtem ersten Gang den Motor zu starten – Kupplungen würden schließlich zum „Kleben“ neigen, der Anlasser hätte dann viel Kraft aufzubringen, die Batterie würde strapaziert und eine neue koste soviel wie zwei Paar gute Schuhe. Die Handhabung des Choke wird ausführlich erklärt, bei Fehlern droht der Motor „abzusaufen“ – gehört habe ich davon zwar schon mal, passiert ist es mir noch nie.

Kein Wunder: Mein Führerschein stammt aus dem Jahr 1990, ist also gut 30 Jahre jünger als das praktische Autobuch. Es hätte mir damals nicht viel helfen können, denn zwischen den Vehikeln, die es beschreibt, und dem elterlichen Audi 100 C2 lagen schon etliche Fortschritte: Einspritzer, Zentralverriegelung, Klimaanlage … Und heute, nochmal bald 25 Jahre später (in denen ich zu keiner Zeit ein eigenes Auto besessen habe) stehe ich vor manchem geliehenem Wagen so ratlos da, wie jemand, der Ende der Fünfziger aus dem praktischen Autobuch fahren gelernt haben mag: Wo ist das Zündschloss? (Man muss die Fernbedienung, über die man die Türen öffnet, in einen Schlitz im Armaturenbrett stecken und dann auf einen Startknopf drücken.) Wo ist die Handbremse? (Man löst sie per Knopfdruck, ihr Zustand wird über eine Kontrolleuchte angezeigt.) Fahren muss man allerdings immer noch selbst. Ob die Verfasser des praktischen Autobuchs das vor über 50 Jahren gedacht haben?

Kein Dampf ohne Rauch

Wo eine Dampfmaschine Dienst tut, ist Qualm nicht weit. So sieht es jedenfalls auf Fotos aus jener Zeit aus, als Dampfmaschinen noch die einzige ernstzunehmende Kraftquelle für Großtechnik wie Lokomotiven, Schiffe oder Fabriken waren. Hier zwei Beispiele aus der Commons-Sammlung von Flickr: Oben qualmen im Jahr 1915 der australische Truppentransporter Warilda und ein Schlepper um die Wette, unten läuft die Mauretania 1907 zu ihrer Jungfernfahrt aus.

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Mauretania

Auch heute bekommt man gelegentlich noch die Gelegenheit, eine Dampfmaschine aus nächster Nähe in Aktion zu erleben – zum Beispiel im Hamburger Museumshafen Oevelgönne, an Bord des Schleppers Tiger. Die Tiger ist mit ihrem Baujahr 1910 nur wenige Jahre jünger als die Mauretania und ihr Fünf-Kubikmeter-Kessel wird nach wie vor mit Kohle geheizt.

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Eher durch Zufall gerieten wir heute vor genau vier Jahren an Bord der Tiger, an einem Tag, an dem die Wasseroberfläche der Elbe praktisch völlig unter Eisschollen verschwand und der Himmel grau verhangen war. An Deck wärmte der Glühwein, unter Deck das Kohlenfeuer unter dem Kessel. Es wurde eine unvergessliche Hafenrundfahrt, kreuz und quer zwischend den Containerriesen hindurch, im Schritttempo durch die schmalsten Lücken und dauernd vom Eis umgeben.

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An den Landungsbrücken gingen wir nach gut zwei Stunden von Bord und konnten dann das 17-Meter-Schiff auf dem gegenüberliegenden Elbufer davondampfen sehen (oben ganz links, klein und schwarz im Bild). Die Rauchfahne aus dem Schornstein wurde sicher durch die kalte Luft verstärkt (die Temperatur lag den ganzen Tag über knapp unter Null) und war ziemlich imposant. Im Vergleich mit den Bildern von vor hundert Jahren fällt aber auf, dass der Qualm aus der Ferne eher weiß als schwarz aussieht.

Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man Fotos von Dampfern auf der Elbe betrachtet, die im Sommer aufgenommen wurden: Oben wieder die Tiger, unten die Schaarhörn, deren Kessel ebenfalls noch mit Kohle befeuert wird.

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Schaarhoern

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was der Grund für den weißen Rauch aus den Schornsteinen der Museumsschiffe im 21. Jahrhundert ist. Allerdings verschleiert die Assoziation Dampfmaschine → Qualm die Tatsache, dass die Heizenergie theoretisch auf beliebige Art und Weise erzeugt werden könnte, je nachdem unter mehr oder weniger Produktion von Qualm. Würde man den Kessel beispielsweise elektrisch heizen, bräuchte man gar keinen Schornstein mehr, weil kein Rauch abzuführen wäre. Ok, ich gebe zu, das ist technisch eine blödsinnige Idee – als Gedankenspiel finden ich es aber interessant.

Tatsächlich werden sogar heute noch neue Dampfmaschinen gebaut, von der schweizerischen Dampflokomotiv- und Maschinenfabrik DLM in Winterthur. Die werden mit Leichtöl befeuert und von ihrem Hersteller mit dem Slogan modern steam beworben. Der nach diesem Prinzip umgerüstete Genfer-See-Dampfer Montreux fährt jetzt völlig ohne Qualm über dem Schornstein, aber dennoch mit Dampf:

Ein bisschen seltsam sieht das Bild für mich aber dann doch aus. Es zeigt einen Dampfer in flotter Fahrt, dem man aber die Dampfmaschine unter Deck gar nicht ansieht. Irgendwas fehlt. Am Ende ist es dann doch der Qualm, der das nostalgische Klischee komplettieren würde. Ich denke: Säße ich am Ufer des Genfer Sees und zeichnete die Montreux im Vorbeifahen, ich würde ihr eine dunkle Wolke über den Kamin setzen. Realismus hin oder her.

Utopie: Innerstädtischer Nahflugverkehr

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tauchten die ersten Flugapparate am Himmel auf, Symbole einer neuen Zeit und ihrer Technik. Prompt machte sich in den Köpfen mancher Visionäre die Vorstellung breit, in der Stadt der Zukunft werde man sich nicht nur mit Hoch- oder Untergrundbahnen, zu Fuß und mit dem Auto fortbewegen, sondern ebenso selbstverständlich per Flugzeug durch die Häuserschluchten der Metropolen kreuzen. Eine solche Szene sieht man zum Beispiels in Fritz Langs Stummfilm Metropolis von 1925/26:

https://youtu.be/skY2eDN7CoE?t=18m16s

Es gab auch einige Architekten und Stadtplaner, die diese Nahverkehrsvision ernsthaft in die Tat umsetzen wollten. Der futuristische Architekt Antonio Sant’Elia zum Beispiel zeichnete eine Serie von Entwürfen für eine Citta Nuova, eine neuen Stadt. Deren zentraler Bahnhof sollte auf seinem Dach einem kompletten Flughafen Platz bieten:

Die Skizze oben zeigt die Zentralstation aus der Perspektive eines Pilots im Endanflug. Die Einflugschneise wäre parallel zu den Gleisen und Schnellstraßen im Vordergrund verlaufen. Im Bahnhofsgebäude unter dem Rollfeld hätte man dann auf dem kurzen Fußweg das Verkehrsmittel wechseln können.

Sant’Elias Entwurf stammt von 1914, war für Mailand gedacht und wurde nie realisiert. Elf Jahre später (und nach Sant’Elias Tod) griff der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright die Idee wieder auf, als er sich 1925 Gedanken über ein neues Stadtzentrum von Los Angeles machte:

Auch diese Vision wurde nie umgesetzt.

Wenn man genau hinschaut (zum Vergrößern bitte klicken!), erkennt man auf Wrights Entwurf über dem Stadtzentrum nicht nur normale Flugzeuge, sondern auch Luftschiffe. Und für deren Abfertigung in Innenstädten wurden tatsächlich vereinzelt Vorbereitungen getroffen. Ich habe es ja lange für ein Gerücht gehalten, aber wie die New York Times schreibt, gab es tatsächlich den Plan, den Fuß der Antenne auf dem Dach des Empire State Building in New York als gigantischen Poller fürs Vertäuen von Zeppelinen zu benutzen. Die Deutschen, die New York mit ihren Luftschiffen LZ 127 (Graf Zeppelin) und LZ 129 (Hindenburg) anliefen, hielten das für eine Schnapsidee und steuerten lieber das Flugfeld im rund 100 Kilometer entfernten Lakehurst an. Die Amerikaner hingegen haben wohl den einen oder anderen praktischen Versuch tatsächlich gewagt: Laut der New York Times machte im September 1931 ein Luftschiff behelfsmäßig für drei Minuten am Gebäude fest, bei satter Windstärke acht. Zwei Wochen später seilte ein Prallluftschiff (Blimp) einen Packen Zeitungen auf dem Dach des Empire State Building ab. Das war’s dann auch. Deshalb sind alle Bilder von vertäuten Zeppelinen an der Spitze des Wolkenkratzers Fotomontagen:

Oder sie stammen aus dem Computer wie diese Szene aus dem Spielfilm Sky Captain and the World of Tomorrow:

Es gab allerdings mal jemanden, der – zumindest für sich selbst – die Vision von individuellen Stadtbummel durch die Luft in die Tat umgesetzt hat: Der brasilianische Ingenieur und Lebemann Alberto Santos-Dumont baute während seiner Jahre in Paris eine Reihe von Luftschiffen und benutzte seine nur zehn Meter lange Konstruktion N°9 angeblich, um Freunde in der Stadt zu besuchen oder ins Restaurant zu fliegen. Es heißt, er sei auf der Avenue Champs Èlysées oder in der Rue Washington gelandet und habe sein Luftschiff bei Zwischenstopps unterwegs einfach am nächsten Baum festgebunden. Das Luftschiff N°9, auch Baladeuse (Wandererin) genannt, hatte einen 3-PS-Motor und erreichte eine Geschwindigkeit von rund 25 Stundenkilometern – bei zu viel Gegenwind wird Santos-Dumont besser eine Droschke genommen haben.

Santos-Dumont ging es bei seinen Ausflügen sicher weniger um Bequemlichkeit und echte Zeitersparnis, dafür umso mehr um den Effekt. Er wird mit seinem Luftschiff ähnlich viel Aufsehen erregt haben wie im 19. Jahrhundert Fürst Pückler-Muskau, als er vor dem Berliner Café Kranzler seine Kutsche mit vier vorgespannten Hirschen parkte. Als Santos-Dumont später von den Luftschiffen zu Motorflugzeugen wechselte, war er zwar nicht der erste, der so ein Gerät in die Luft brachte, aber der erste, der seine Flüge als öffentliche Veranstaltungen zelebrierte. In die Luftfahrtgeschichte ging er als erfolgreichster Flugpionier seiner Ära ein, gemessen an den Preisen für Langstrecken- und Dauerrekorde, die er einheimste.

Um Publicity (oder schlicht: Reklame) ging es wahrscheinlich auch, als der Pilot Antonius Raab am 8. Juni 1923 morgens um acht mit seiner Maschine in Berlin Unter den Linden auf der Straße landete. Raab erzählte der Polizei, es sei eine Notlandung gewesen. Am nächsten Tag stand die Geschichte groß in den Zeitungen und der Hersteller des Flugzeugs, das Stahlwerk Mark, warb anschließend in Anzeigen ganz unverholen mit der glatten Landung der Maschine auf der Fahrbahn. Der vom Stahlwerk in Lizenz gebaute kleine Hochdecker Rieseler III/22 hätte sich somit zumindest theoretisch für den innerstädtischen Flugverkehr geeignet.


In den fünfziger und sechziger Jahren war dann der Hubschrauber serienreif und beflügelte die Idee des urbanen Nahverkehrs durch die Luft aufs neue. Zur Zeit ist im Historischen Museum in Hannover die Ausstellung Stadtbilder. Zerstörung und Aufbau zu sehen. Dort sieht man auf einer Projektskizze von Karl Cravatzo von etwa 1960 einen bananenförmigen Doppelrotor-Hubschrauber hoch über einer Startplattform schweben, die über die Bahnsteige des Hauptbahnhofs gebaut ist. Auch diese Plattform wurde nie errichtet. Hubschrauberverkehr gibt es aber dennoch über der Stadt: bei Fußballspielen, bei Großveranstaltungen, bei Polizeieinsätzen. Nicht zu vergessen: der Hubschrauberlandeplatz der Medizinischen Hochschule, der in ungefähr 200 Metern Luftlinie vor meinem Bürofenster liegt. Wenn von dort aus mal wieder der Rettungshubschrauber im Einsatz knapp über meinen Schreibtisch donnert, dann bin ich mir sicher: Von solchen Notfällen abgesehen ist innerstädtischer Nahflugverkehr keine gute Idee.

Warum Kuli und nicht Kugi?

Schon lange frage ich mich, warum Kugelschreiber immer nur Kuli genannt werden – dabei wäre Kugi doch eigentlich viel logischer. Oder?
Auf der Wikipedia-Seite zum Stichwort Kugelschreiber steckt der entscheidende Hinweis schon im ersten Absatz:

„Die umgangssprachliche Kurzform Kuli bezeichnete ursprünglich den 1928 von Rotring entwickelten Tintenkuli.“

Der Tintenkuli wiederum war mit dem Füller verwandt, hinterließ im Unterschied zu diesem aber stets Striche in exakt gleicher Stärke, egal, in welche Richtung man ihn übers Blatt zog. Man konnte damit offenbar auch präzise technische Zeichnungen anfertigen, musste ihn aber recht diszipliniert ziemlich steil halten, wie man liest.
Da ist der Kugelschreiber weniger anspruchsvoll: Als er in den 40er Jahren auf dem Markt auftauchte, verdrängte er den Tintenkuli schnell, kaperte aber nebenbei dessen Kurzbezeichnung Kuli. Die Technik des ursprünglichen Kulis mit Röhrchenfeder und Tintentransport durch Kapillarwirkung entwickelte der Hersteller Rotring später weiter – die technischen Tuschezeichenstifte namens Isograph und Rapidograph stammen vom Tintenkuli ab.
Bleibt nur die Frage: Wie kam Rotring im Jahr 1928 auf den Namen für seinen Stift? Tatsächlich gab es das Wort offenbar schon vorher. Zumindest ist es in Otto Ladendorfs Historischem Schlagwörterbuch aus dem Jahr 1906 aufgeführt:

Tintenkuli ist ein vermutlich von Maximilian Harden aufgebrachter verächtlicher Ausdruck für den journalistischen Lohnschreiber.“

Da erschließt sich mir spontan kein direkter Zusammenhang. Aber weiter unten heißt es:

„Das dem Ostindischen entstammende Wort Kuli bezeichnet jetzt allgemein die indischen und chinesischen Lastträger …“

So wie der Kuli die Lasten transportiert, so transportiert der Tintenkuli die Schreibflüssigkeit. Das könnte der Gedanke bei der Namensgebung gewesen sein. Ein bisschen seltsam wirkt die Metapher aus einem Jahrhundert Distanz betrachtet aber schon.

Spitze einer hochwertigen Kugelschreibermine unter dem Mikroskop. Die Kugel ist tatsächlich so präzise geformt, dass man darin die Spiegelung der Umgebung erkennen kann.

Spitze einer hochwertigen Kugelschreibermine unter dem Mikroskop. Die Kugel ist tatsächlich so präzise geformt, dass man darin die Spiegelung der Umgebung erkennen kann – jedenfalls, wenn es dabei was interessantes zu sehen gibt, was hier im Bild zugegebenermaßen nicht der Fall ist.