InkTober: 31 Zeichnungen in 31 Tagen

In diesem Jahr habe ich erstmals beim Internet-Zeichenprojekt namens „InkTober“ mitgemacht. Das Kunstwort InkTober umfasst eigentlich schon alles, um was es geht: Wer Lust hat, zeichnet an jedem Tag im Oktober etwas mit Tusche (englisch: ink) und veröffentlicht es im Internet, im sozialen Netzwerk der Wahl, versehen mit dem Schlagwort #inktober oder #inktober2016 für die Aktion dieses Jahres.

Erfunden hat den InkTober der US-amerikanische Comiczeichner und Bilderbuchillustrator Jake Parker. Im Jahr 2009 wollte er seine zeichnerischen Fähigkeiten verbessern und stellte sich als Fingerübung selbst die Aufgabe, einen Monat lang jeden Tag eine Zeichnung zu machen. So wurde für ihn der Oktober 2009 zum InkTober – dem Tuschemonat. Diese Idee war ansteckend und inzwischen  beteiligen sich jedes Jahr viele tausend Zeichnerinnen und Zeichner am InkTober.

Meine täglichen Zeichnungen habe ich bei Instagram veröffentlicht – nicht an jedem Tag genau eine, aber immerhin alle innerhalb des vergangenen Oktobers. Hier gibt es sie aber noch mal in einer Übersicht:

Im Lauf der Tage und der Zeichnungen ist viel bei mir passiert – sowohl gestalterisch als auch technisch. Ein paar ausgewählte Aspekte davon will ich in den folgenden Blogposts beschreiben, die hoffentlich in den nächsten Tagen oder Wochen fertig werden.

Aufs Stichwort

Eigentlich gibt es für den InkTober keine weiteren Vorgaben, als jeden Tag zu zeichnen und die Ergebnisse im Netz zu veröffentlichen. Diese große Freiheit macht die Aufgabe aber noch anspruchsvoller, denn man braucht ja für jeden Tag auch eine neue Bildidee. Als Hilfe gibt es deshalb eine offizielle Stichwortliste von Jake Parker, an die ich mich nach anfänglichem Zögern dann doch gehalten habe (weshalb meine oben gezeigten Zeichnungen allsamt englische Titel tragen).

Eine einzige Ausnahme ist Bild Nummer 17: Eine Schlacht (Battle) konnte und wollte ich partout nicht zeichnen. Stattdessen habe ich für diesen Tag auf eine Zeichnung vom Wochenende zuvor zurückgegriffen, als ich zum ersten mal bei einem Treffen der Urban-Sketcher-Gruppe in Hannover dabei war.

Große Bandbreite

Seit Jake Parker im Jahr 2009 den ersten InkTober ausgerufen hat, haben sich weltweit immer mehr Zeichnerinnen und Zeichner der Aktion angeschlossen. Schon wenige Tage nach dem Start des InkTober 2016 meldete Parker, dass bereits über hunderttausend Beiträge auf den verschiedenen Plattformen veröffentlich worden wären.

Die Bandbreite ist dabei immens, sowohl was die Themen und Techniken, aber auch was den Anspruch und die Virtuosität angeht: Es beteiligen sich ebenso echte Zeichenanfänger wie jahrelang trainierte Hobbykünstlerinnen, aber auch etliche Profis aus dem grafischen Gewerbe am InkTober. Manche liefern brav und pünktlich täglich je eine Zeichnung ab, andere steuern im Lauf des InkTober nur zwei, drei Bilder in loser Folge bei. Viele produzieren ein recht homogenes Konvolut, zeichnen zum Beispiel einen Monat lang jeden Morgen die Fahrgäste, die mit ihnen zusammen im Bus sitzen. Andere widmen ihren gesamten InkTober sogar einem einzigen, zusammenhängendem Werk, wie Dani Diez, der den ganzen Monat über an einem Leporello arbeitete:

His Master’s Stroke

Auch wer sich an die Stichwortliste hält (sei es die offizielle von Jake Parker oder eine der vielen alternativen Begriffssammlungen, die parallel im Netz kursieren), kann damit dennoch sein ganz eigenes Thema kombinieren. So illustrierte etwa Brian Kesinger die Tagesthemen aus der Liste mit jeweils einem seiner Comic-Drachen, an denen ich als Betrachter viel Spaß hatte (und von denen sich ein entfernter Cousin dann am Tag 29 auch in eine meiner Zeichnungen mogelte):

Auch Jake Parker hat die 31 Begriffe seiner eigenen Stichwortliste mit selbst geschaffenen Protagonisten durchgespielt. Für eine Hauptfigur seines Buchs „Little Bot and Sparrow“ hat er sich eine Reihe neuer Situationen und Szenen ausgedacht und zu Papier gebracht. Manche von Parkers InkTober-Zeichnungen dieses Jahres scheinen direkt aufeinander zu folgen, ein durchgehender roter Faden fehlt allerdings. Deshalb nehme ich es dem Zeichner durchaus ab, wenn er auf Nachfrage versichert, dass er keine fertige Geschichte vorab im Kopf gehabt hat, als er seine Schlagwörter zusammengestellt hat.

Dass er auch seinen möglichen Vorsprung nicht ausgenutzt und heimlich vorgearbeitet hat, sieht man etwa auch an seinem Kommentar zur Zeichung vom 16. Oktober:

Ich finde es sehr sympathisch, dass der InkTober auch für Jake Parker selbst offenbar immer noch eine Herausforderung ist. Dass er während dieses Monats auch mal um und mit Ideen ringt, dass ihm die Zeit davonläuft. Und dass er insgesamt seine Zeichenaktion keineswegs als minutiös vorab durchgeplantes Marketing-Event für seine Bücher herunterspult, wie man vielleicht argwöhnen könnte, sondern wie alle anderen Mitzeichnerinnen und Mitzeichner das Risiko des Scheiterns nicht scheut – mit jedem Tag und jeder Zeichnung aufs neue.

Männer, die in Brillen starren – Erzählungen aus der virtuellen Realität

Virtual Reality – kurz: VR – war schon ein heißes Thema, als ich vor über zehn Jahren Informatik an der Uni Bremen studiert habe. In der Praxis sah Virtual Reality damals so aus: Man baute eigens einen Raum auf, eine sogenannte Cave. Deren Wände waren idealerweise gewölbt, damit die künstliche Welt nicht durch störende Ecken unterbrochen wurde – denn auf diese Wände projizierten mehrere Beamer synchron die Simulation einer in Echtzeit und 3D berechneten Umgebung.

Staken durch den virtuellen Dschungel

An zwei studentische Projekte aus dem Jahr 2004 erinnere ich mich noch besonders gut: Bei einem stakte man auf einem Floß durch die vorbeiziehende 3D-Grafik eines Dschungels (in dem gab es animierte Säbelzahltiger und andere Monster, die seltsam blaue Haut hatten). Das Floß rührte sich dabei nicht wirklich vom Fleck, lediglich die Bewegung der Stange in der Hand des Benutzers wurde von Sensoren erfasst und beeinflusste dadurch das Tempo, in dem die Landschaft in der Projektion achteraus glitt.

Die Technik unter dem fliegenden Teppich

Beim anderen VR-Projekt ging es rasanter zu, denn da kurvte man auf einem fliegenden Teppich durch die Luft. Der Teppich war auf eine Holzplatte geklebt, in zwei Achsen beweglich gelagert und pneumatisch (oder hydraulisch?) gedämpft. Man konnte seine Ausrichtung durch Verlagern des eigenen Gewichts verändern und dadurch den Teppich steuern. Hatte man Tempo aufgenommen, blies einem sogar Fahrtwind ins Gesicht – auf dem folgenden Foto ist am Rand des projizierten Himmels oben der Luftauslass für die Windmaschine zu erkennen.

Fliegen auf dem Teppich durch die VR

Die Idee der VR erlebt gerade wieder eine Renaissance. Allerdings hat sie sich aus ihren Caves befreit und steckt kompakt in Brillen, in die man nur hinein-, aber nicht hindurchsehen kann, und die an zugeklebte Tauchermasken erinnern.

Solche Brillen wie die Oculus Rift oder die Samsung Gear VR haben den unschlagbaren Vorteil, dass man nicht mehr einen kompletten Raum umbauen muss, um in die virtuelle Realität einzutauchen. Auf der anderen Seite kann so ein Sichtgerät immer nur bei einem Benutzer zur Zeit auf der Nase sitzen. Und so ist das Internet voll mit Videos von Leuten, die in undurchsichtige Brillen schauen, den Kopf hin und her drehen und ihren Zuschauern dabei erzählen, was sie gerade erleben. Damit wird über eine Technik, die vielen noch wie Zukunfstmusik vorkommen mag, auf eine Weise kommuniziert, die schon die Epen Homers durch die Jahrtausende trug: Durch Erzählen und Zuhören.

Das hat handfeste Gründe. Bei der Samsung Gear VR zum Beispiel läuft die gesamte VR-Darstellung auf einem handelsüblichen Smartphone – versucht man, auf demselben Gerät die live erzeugten stereoskopischen Videos mitzuschneiden, geht die Hardware in die Knie und die virtuelle Welt fängt an zu ruckeln. Aber selbst bei Systemen, die nicht mit diesem Problem kämpfen, etwa der Oculus Rift, ist der Mitschnitt der Videos nur ein müder Abklatsch des eigentlichen Erlebnisses: Der räumliche Eindruck stellt sich nicht ein, wenn man die Bilder für beide Augen einfach nur so nebeneinander auf dem Bildschirm sieht. Die Darstellung erscheint verzerrt, weil die kalkulierte Verzeichnung durch die eingebauten Linsen der Brille fehlt. Die Bilder füllen längst nicht das gesamte Gesichtsfeld aus. Vor allem reagiert die Darstellung nicht auf eigene Kopfbewegungen. All dies macht aber gerade den Eindruck aus, mit Haut und Haaren in die simulierte Welt einzutauchen. Da bleibt wirklich nur, es selbst zu erleben und davon zu erzählen.

Und ja, es ist eine wirklich intensive Erfahrung, die noch am ehesten mit einem sehr plastischen Traum zu vergleichen ist.

Verlorene Welten

Manchmal schlägt das Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen in der Mittagspause seltsame Wege ein. So redeten wir kürzlich über Berlin und meine Gedanken rutschten unversehens zurück in die frühen 90er Jahre. Damals war ich spätestens alle paar Monate in Berlin – ich kannte dort Leute und wollte so oft wie möglich raus aus der badischen Provinz, wo ich meinen Zivi leistete, und hinein in die große Stadt. Und obwohl ich fast zwanzig Jahre nicht mehr daran gedacht hatte, fiel mir plötzlich wieder ein seltsamer Laden ein: die Blei Bar in der Fehrbelliner Straße (Hausnummer 6, wenn ich mich nicht irre).

Als Landei war ich offenbar so schwer von der Blei Bar beeindruckt, dass ich einen kleinen Text darüber schrieb. Weil das schon auf einem Computer passierte (der meinem Mitbewohner gehörte und auf dem übrigens noch kein Windows lief), entstand dieser Text bereits digital. So hat er sich in meinem von Rechner zu Rechner stets mitgezogenen Datenbestand bis heute erhalten:

„Die Blei Bar befand sich im Erdgeschoß eines ansonsten wohl leerstehenden Ziegelbaues aus der Gründerzeit, von dem – wie in diesem Viertel üblich – die Zementfassade gleich in Stücken von halben Quadratmetern abfiel. Alle Fenster waren verammelt, nur neben der abgestoßenen Haustüre glomm ein schwaches, zinnoberrotes Licht hinter einer blinden Opalglasscheibe, die mit kleinen eingeschliffenen Sternchen gemustert war. Auf die Scheibe hatte jemand kaum sichtbar und linkisch mit taubenblauem Lack aufgesprüht: Blei Bar. Aber das konnte man eigentlich erst lesen, wenn man schon wußte, was es heißen sollte.

Der Hausflur war stockdunkel, nach links führte ein schwach erleuchteter Gang ab, der an einer Tür endete. Schon hier war die Musik ohrenbetäubend. Denn hinter einem groben Mauerdurchbruch links vor der Tür lag die Bar: ein vollkommen kahles Zimmer von vielleicht sechs Metern im Quadrat, das eine Theke aus Stahlblech, fünf Barhocker, ein Sperrmüllsofa und eine Musikanlage enthielt. Auf dem einen Ende der Theke stand eine weinflaschenhohe Glühbirne mit gewendelten schwarzen Plastikfuß, deren Glühfaden die Form eines Edelweiß hatte. Das andere Ende der Theke zierte eine dreidimensionale Uhr mit Zeigern aus bunten Plastikfäden und Flitterbüschen, von unten beleuchtet, das ganze unter einer Art pyramidenförmigen Plexiglassturz gefangen. Auf der Theke standen sonst noch ein paar Bierflaschen und ein Diaprojektor. Der warf ein gemaltes Bild an die Wand: Jemand (der vielleicht noch ein Kind war) hatte auf blaue Folie ein seltsames Tier mit Hörnern gekrakelt und daneben „Kuh“ geschrieben. Über dem Sofa war mit roter Farbe eine Spirale von etwa zwanzig Zentimetern Durchmesser auf die Wand gepinselt, als hätte die Wand voll werden sollen, aber die Lust hatte nicht dafür gereicht. Ansonsten gab es überhaupt nichts: Mehr Details berichten hieße Kippen und Kronenkorken auf dem Boden zählen.

Morgens um drei, als wir in die Blei Bar kamen, waren dort fünf Leute. Einer beschäftigte sich mit der Musikanlage, die in in Presslufthammerlautstärke pulsierte. Zwei standen an der Theke und spielten Domino.  Einer hing am Fenster, hatte eine Postuniform an und hielt ein Weizenglas in der Hand. Am Diaprojektor fummelte ein blondes Mädchen in Kittelschürze herum, die eine blaue Sonnenbrille und eine hohe Ballonmütze aus rotem, steifen Filz trug. 

Die Toilette lag auf der anderen Seite des Flures und hatte eine zwei Meter breite Holztür, die jeweils ein Schild „Damen“ und „Herren“ trug. Der Raum war größer als die Bar selbst, enthielt aber nur eine einzige Schüssel, die in eine Ecke geflohen zu sein schien. Es gab noch ein Waschbecken mit einem Spiegel darüber, an dem ein Strauß trockner Rosen hing. Das Ganze erhellte eine Glühbirne, die in zwei aneinandergeschraubten Trabi-Rücklichtern steckte.“

Heute bekommt man nicht mehr viel raus über die Blei Bar. Im Internet hat sie jedenfalls keine direkten Spuren hinterlassen, denn das Netz gab es 1993 eben noch nicht. Immerhin habe ich dort ein Foto gefunden. Es stammt von der Fotografin Eva Otaño Ugarte und es wurde offenbar 2010 in einer Ausstellung gezeigt. Da gab es das Internet schon, und deshalb ist das Bild auch hier zu sehen:

Wo auf dem Bild links vorne der Schaukelstuhl steht, befand sich in meiner Erinnerung (die sich vor allem auf den Text oben stützt) das Sofa. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich die Bar alleine nach dem Foto gar nicht wiedererkannt.

Eigentlich ist es Glück und Zufall, dass von der Blei Bar überhaupt ein Foto existiert. Damals hatte eigentlich niemand eine Kamera dabei. Man hatte auch kein Telefon dabei. In einem Club wie der Blei Bar konnten sich eigentlich alle sicher sein, weder angerufen noch fotografiert zu werden.

Keine Angst – es folgt hier jetzt kein Lamento, dass früher alles besser war, weil man damals ach so wilde Dinge tun konnte, ohne fürchten zu müssen, dass am nächsten Morgen das ganze Netz davon weiß. (So wild war das Leben damals auch nicht, jedenfalls meins nicht). Nein, im Gegenteil: Ich finde es schade, dass ich vor zwanzig Jahren eigentlich nie eine Kamera dabeihatte; es sei denn, ich zog vorsätzlich los, um Fotos zu machen.

Heute ist das anders – und ich finde es toll.

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Alles, woran ich mich später erinnern möchte, kann ich jetzt mal eben schnell mit meinem Telefon fotografieren. Das sind heute nicht mehr so oft Szenen aus der Kneipe, immer öfter hingegen Poster, Plakate, Graffiti, Lichtsituationen. So fiel mir zum Beispiel neulich ein Plakat mit einem wunderschönen Hintergrundmotiv auf. Ich habe den Bildnachweis fotografiert, hatte dann den Namen des Künstlers, konnte den googeln und fand das Bild wieder: les mondes engloutis (= die verlorenen Welten) von Tom Haugomat:

Klar, im Prinzip wäre das auch früher gegangen, ich hätte mir vor zwanzig Jahren den Namen des Grafikers einfach aufschreiben können. Nur: Was hätte ich dann damit angefangen? Wie hätte ich jemals mehr über ihn herausfinden können, mehr Bilder von ihm zu Gesicht bekommen können, von einem Illustrator im fernen Paris, in den Zeiten vor dem Internet?

Ich kann mich daran erinnern, dass ich in der Blei-Bar-Zeit mal in einer Berliner Hinterhofgalerie-Ausstellung eine Radierung sah, ein Porträt, das mich sehr faszinierte. Es sollte zwar keine hundert Mark kosten, aber soviel Geld hatte ich damals nicht. Vielleicht habe ich mir sogar den Namen des Künstlers oder der Künstlerin irgendwo aufgeschrieben und den Zettel dann verlegt, später mal wiedergefunden, die Verbindung zum Bild nicht mehr hergestellt und ihn dann weggeworfen. Wie auch immer das war, mir bleibt nur die Erinnerung daran, dass ich mal ein solches Bild gesehen habe – die Erinnerung an das Bild selbst ist längst verblasst, genauso wie die Erinnerung an die Paraphrase darauf, die ich davon mal selbst gemalt und anschließend verschenkt habe…

Besser, ich schreibe solche Notizen heute gleich ins Internet. Denn es heißt ja immer: Das Internet vergisst nichts. Das könnte ja auch mal seine guten Seiten haben.

Spritztour zurück ins Jahr 1959

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Ich habe neulich „Das praktische Autobuch“ (Baujahr 1959) geschenkt bekommen. Darüber habe ich mich sehr gefreut, denn ich lese gerne Erklärungen über technische Dinge, insbesondere, wenn sie allgemein verständlich geschrieben sind. Prompt habe ich beim flüchtigen Durchblättern und Überfliegen einiger Seiten des praktischen Autobuchs wieder was gelernt: warum Autos mit Zweitaktmotoren eine Freilaufkupplung brauchen.

Bei Zweitaktern wird das Schmieröl dem Kraftstoff beigemischt. Würde man so einen Motor wie einen Viertakter ohne Sprit weiterlaufen lassen, sobald man Gas wegnimmt, der Wagen aber noch viel Fahrt drauf hat, liefe der Zweitaktmotor in diesem Moment ungeschmiert. Mit einem Freilauf kann der Motor stattdessen im Leerlauf weitertuckern und bekommt durchgehend Sprit und Schmierung. Die praktische Konsequenz davon: Zweitakt-Autos haben keine Motorbremse. Das in westdeutschen Fahrschulen geübte Runterschalten vor der Kurve bleibt in also vollkommen wirkungslos, falls man mal einen Trabant fahren sollte…

Das praktische Autobuch macht mir aber auch mit seiner grafischen Gestaltung viel Freude. Die eingestreuten Illustrationen sind nicht nur elegant im Strich; charmant finde ich auch, dass die Gestalter des Buches zum Beispiel den Abschnitt über „Schmieröle“ mit der Miniatur einer Laborszene illustrierten:

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Genauso stelle ich mir die fünfziger Jahre vor.

Neben den Strichzeichnungen auf den normalen Seiten sind auch noch Schwarzweiß-Foto-Tafeln und einige wenige Farbtafeln eingebunden. Die schönste ist diese hier:

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Sie zeigt die seinerzeit verbreiteten Bauarten anhand von drei gängigen Automodellen: Einem Opel Kapitän, einem VW Käfer sowie einem DKW (wahrscheinlich einem F93).

Was auffällt: wie wenig auf den Schemazeichnungen gelb markiert ist, also zur Elektrik gehört. Autos waren damals eher eine mechanische Angelegenheit, keine hochintegrierten mobilen Mechatroniksysteme wie heute. Unter der Haube hat sich viel getan. Darüber sieht man leicht hinweg, weil Autofahren im Prinzip heute noch ganz ähnlich funktioniert wie vor 55 Jahren: Gas rechts, Bremse in der Mitte, Kupplung links; ein Lenkrad, vier Räder, Blinkerhebel, Scheibenwischer, Fernlicht, Außen- und Innenspiegel … alles klar.

Aber in den Details beschreibt das praktische Autobuch eine fremde Welt. So gelten vollsynchronisierte Getriebe noch als etwas sehr neumodisches – zwischen den Zeilen kann man deutlich lesen, dass echte Könner auch mit einem rustikalen Schubradgetriebe klarkommen, weil sie gelernt haben, zwischen Aus- und Einkuppeln gefühlvoll Zwischengas zu geben. Auch warnt das Buch eindringlich davor, mit getretenem Kupplungspedal, aber eingelegtem ersten Gang den Motor zu starten – Kupplungen würden schließlich zum „Kleben“ neigen, der Anlasser hätte dann viel Kraft aufzubringen, die Batterie würde strapaziert und eine neue koste soviel wie zwei Paar gute Schuhe. Die Handhabung des Choke wird ausführlich erklärt, bei Fehlern droht der Motor „abzusaufen“ – gehört habe ich davon zwar schon mal, passiert ist es mir noch nie.

Kein Wunder: Mein Führerschein stammt aus dem Jahr 1990, ist also gut 30 Jahre jünger als das praktische Autobuch. Es hätte mir damals nicht viel helfen können, denn zwischen den Vehikeln, die es beschreibt, und dem elterlichen Audi 100 C2 lagen schon etliche Fortschritte: Einspritzer, Zentralverriegelung, Klimaanlage … Und heute, nochmal bald 25 Jahre später (in denen ich zu keiner Zeit ein eigenes Auto besessen habe) stehe ich vor manchem geliehenem Wagen so ratlos da, wie jemand, der Ende der Fünfziger aus dem praktischen Autobuch fahren gelernt haben mag: Wo ist das Zündschloss? (Man muss die Fernbedienung, über die man die Türen öffnet, in einen Schlitz im Armaturenbrett stecken und dann auf einen Startknopf drücken.) Wo ist die Handbremse? (Man löst sie per Knopfdruck, ihr Zustand wird über eine Kontrolleuchte angezeigt.) Fahren muss man allerdings immer noch selbst. Ob die Verfasser des praktischen Autobuchs das vor über 50 Jahren gedacht haben?

Pointillismus selbst gemacht

Bei den Evil Mad Scientist Laboratories kann man DIY- und Open-Source-Hardware für „Kunst, Unterricht und die Weltherrschaft“ kaufen – beispielsweise den Bausatz eines Stiftplotters, der Eier bemalt (gibt es auch in einer größeren Ausführung für Straußeneier und ähnlich voluminöse Rundkörper). Manches bekommt man von den Laboratories aber auch geschenkt, zum Beispiel die wunderbare Software StippleGen 2.

Das Programm lädt ein beliebiges Bild und setzt es in ein Muster verschieden großer Punkte um – zur Wahl stehen weiße Punkte auf schwarzem Grund oder schwarze Punkte auf weißem Grund. Die Punkte sind anders als beim klassischen Klischee nicht in einem festen Raster angeordnet, sondern ihre Position wird im Lauf von einigen Durchläufen des Programms mit Hilfe eines Voronoi-Diagramms optimiert.

Das Programm ist innerhalb meines Lieblings-Software-Biotops Processing entwickelt worden. Da die Evil Mad Scientists ihre Anwendung auch noch unter eine Open-Source-Lizenz gestellt haben, kann sich jeder den Code herunterladen, in Processing öffnen und nach eigenem Bedarf verändern. Die Software läuft aber auch als eigene Anwendung unter Windows, Mac OS X und Linux, sodass man sie einfach so benutzen kann, auch wenn man Processing selbst gar nicht installiert hat.

Nach dem Start fängt StippleGen 2 sofort an zu arbeiten. Als erste Vorlage dient ein mitgeliefertes Foto von Grace Kelly (nein, das sieht man nicht oben im Screenshot). Diesen Vorlauf kann man stoppen und statt dessen ein Bild von der eigenen Festplatte laden. Dann stellt man Parameter wie die Zahl der Punkte und die Spanne zwischen ihrer minimalen und maximalen Größe mit Schiebereglern ein und lässt das Programm so viele „Generationen“ durchrechnen, bis das Ergebnis gut aussieht.

Das Ergebnis kann man als SVG-Datei speichern und zum Beispiel in Inkscape öffnen. Im SVG-Layout ist die Seitengröße zwar mit etwas skurrilen 3200 × 800 Pixeln angegeben, weil StippleGen 2 eigentlich dafür gedacht ist, Vorlagen für den oben erwähnten Eierplotter zu liefern. Das Format lässt sich aber nachträglich den eigenen Vorstellungen anpassen und das Bild auf jede gewünschte Größe aufziehen – ist ja schließlich Vektorgrafik. Mir geistern da gerade schon ein paar Ideen im Kopf herum, was man mit den schönen Punktmustern so alles anstellen könnte … wenn es klappt, wird davon hier zu lesen sein. Versprochen.

Warum Kuli und nicht Kugi?

Schon lange frage ich mich, warum Kugelschreiber immer nur Kuli genannt werden – dabei wäre Kugi doch eigentlich viel logischer. Oder?
Auf der Wikipedia-Seite zum Stichwort Kugelschreiber steckt der entscheidende Hinweis schon im ersten Absatz:

„Die umgangssprachliche Kurzform Kuli bezeichnete ursprünglich den 1928 von Rotring entwickelten Tintenkuli.“

Der Tintenkuli wiederum war mit dem Füller verwandt, hinterließ im Unterschied zu diesem aber stets Striche in exakt gleicher Stärke, egal, in welche Richtung man ihn übers Blatt zog. Man konnte damit offenbar auch präzise technische Zeichnungen anfertigen, musste ihn aber recht diszipliniert ziemlich steil halten, wie man liest.
Da ist der Kugelschreiber weniger anspruchsvoll: Als er in den 40er Jahren auf dem Markt auftauchte, verdrängte er den Tintenkuli schnell, kaperte aber nebenbei dessen Kurzbezeichnung Kuli. Die Technik des ursprünglichen Kulis mit Röhrchenfeder und Tintentransport durch Kapillarwirkung entwickelte der Hersteller Rotring später weiter – die technischen Tuschezeichenstifte namens Isograph und Rapidograph stammen vom Tintenkuli ab.
Bleibt nur die Frage: Wie kam Rotring im Jahr 1928 auf den Namen für seinen Stift? Tatsächlich gab es das Wort offenbar schon vorher. Zumindest ist es in Otto Ladendorfs Historischem Schlagwörterbuch aus dem Jahr 1906 aufgeführt:

Tintenkuli ist ein vermutlich von Maximilian Harden aufgebrachter verächtlicher Ausdruck für den journalistischen Lohnschreiber.“

Da erschließt sich mir spontan kein direkter Zusammenhang. Aber weiter unten heißt es:

„Das dem Ostindischen entstammende Wort Kuli bezeichnet jetzt allgemein die indischen und chinesischen Lastträger …“

So wie der Kuli die Lasten transportiert, so transportiert der Tintenkuli die Schreibflüssigkeit. Das könnte der Gedanke bei der Namensgebung gewesen sein. Ein bisschen seltsam wirkt die Metapher aus einem Jahrhundert Distanz betrachtet aber schon.

Spitze einer hochwertigen Kugelschreibermine unter dem Mikroskop. Die Kugel ist tatsächlich so präzise geformt, dass man darin die Spiegelung der Umgebung erkennen kann.

Spitze einer hochwertigen Kugelschreibermine unter dem Mikroskop. Die Kugel ist tatsächlich so präzise geformt, dass man darin die Spiegelung der Umgebung erkennen kann – jedenfalls, wenn es dabei was interessantes zu sehen gibt, was hier im Bild zugegebenermaßen nicht der Fall ist.

Eigentlich wollte ich ja …

… in diesem Blog kleine Bastelprojekte vorstellen. Leider ist in letzter Zeit nicht viel zusammengekommen (und aus dem, was man mit gutem Gewissen zeigen kann, sind meist Artikel für c’t oder Hardware Hacks geworden). mfds_135x120-ca861121167496f4Deshalb an dieser Stelle zwei Links auf zwei Projekte aus dem Jahr 2011, die als Anregung für den damals laufenden c’t-Wettbewerb „Mach flott den Schrott II“ dienten: