Allegorien auf die Zukunft von gestern

Das Göteborger Kunstmuseum ist ein leicht wuchtig geratenes Gebäude aus den 20er Jahren, mit reichlich Treppenstufen davor, die zwischen den mächtigen Säulen und unter den Rundbögen der Fassade irgendwie in einem zugigen Nichts enden. Hat man sich aber im Inneren geduldig ganz nach oben gearbeitet, findet man dort die sogenannte Fürstenberg-Galerie. Diese erhielt ihren Namen nach dem Kunstmäzen Pontus Fürstenberg (1827–1902), der besonders die skandinavischen Künstler kurz vor der Jahrhundertwende wie Carl Larsson, Ernst Josephson und Anders Zorn förderte und ihre Werke kaufte.

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Die Räume dieser Galerie – in denen man unter anderem Bilder der ebengenannten Maler findet – wirken, als wären sie älter als das Gebäude selbst, das sie beherbergt. Die Innenausstattung mit farbigen Wänden, Stuck an der Decke, Eichenparkett, Teppichen und historisierenden dunklen Holzmöbeln sieht so gar nicht nach der Zeit des Nordischen Klassizismus aus, in dessen Geist das Kunstmuseum gebaut wurde. Vermutlich hat man in der Fürstenberg-Galerie die Szenerie älterer Räumlichkeiten nachgebaut, mit allen Dekorationselementen.

Diese Dekoration ist in der Tat ungewöhnlich: Auf den Stuckfriesen, üben denen die Wände in einer großzügigen Hohlkehle in die Decke übergehen, tummeln sich sechs allegorische Paare lebensgroßer Akte. Und während man gewohnt ist, dass solche Plastiken irgendwelche biblischen Tugenden oder Laster oder sonstige philosophische Konzepte verkörpern, hat dieses Dutzend Nackte viel handfesteres zu kommunizieren – moderne Technik.

Telefon

Das Telefon. Offensichtlich noch mit schlechter Tonqualität, die es erforderte, die Ohren scharf zu spitzen.

Kamera

Die Fotografie. Links macht sich das Modell hübsch, rechts nimmt die Fotografin den Deckel vom Objektiv ab, um die Belichtung zu starten.

Magnetismus

Das ist schon schwieriger. Dargestellt wird der Magnetismus, zu erkennen am Hufeisenmagnet. Die etwas weggetreten wirkende Dame links spielt vielleicht auf Franz Anton Mesmer an, der im 18. Jahrhundert Leuten Magneten aufgelegt haben soll, um sie zu hypnotisieren.

Dampf

Der Kessel in der Mitte macht es klar: Hier geht es um Dampf, damals das Mittel der Wahl zur Energieerzeugung. Auch wenn die beiden flankierenden Figuren eher benebelt wirken – oder wie kurz davor, sich wegen der Hitze von der höchsten Bank in der Sauna herunterzurollen.

Elektrizitaet

Die Elektrizität. Die beiden Figuren links und rechts holen sich Schläge an der Elektrisiermaschine in der Mitte. Das Medaillon ist leider auf dem Bild nur schlecht zu erkennen, aber die beiden hellen Punkte und der schwarze Fleck drumherum sind eine Katze auf der Schulter einer Dame – und ein mit Bernstein geriebenes Katzenfell war eines der frühen bekannten Beispiele für elektrostatische Aufladung.

Dynamit

Das ist wirklich schwer, ich musste auch erst auf den Erklärtext schauen: Diese Gruppe stellt das Dynamit dar – es erschreckt durch den Knall (wie man bei der Figur im Medaillon sieht) und ist in der Lage, Felsen zu spalten.

Die Figuren wurden samt und sonders vom wenig bekannten Bildhauer Per Hasselberg geschaffen. Bei den gemalten Medaillons waren verschiedene Künstler am Werk: Das Telefon-Bild schuf zum Beispiel Georg Pauli, der später einer der ersten Kubisten Schwedens wurde; den Dynamit-Schrecken pinselte Ernst Josephson, die elektrische Katze mit ihrer Besitzerin malte Carl Larsson.

Verlorene Welten

Manchmal schlägt das Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen in der Mittagspause seltsame Wege ein. So redeten wir kürzlich über Berlin und meine Gedanken rutschten unversehens zurück in die frühen 90er Jahre. Damals war ich spätestens alle paar Monate in Berlin – ich kannte dort Leute und wollte so oft wie möglich raus aus der badischen Provinz, wo ich meinen Zivi leistete, und hinein in die große Stadt. Und obwohl ich fast zwanzig Jahre nicht mehr daran gedacht hatte, fiel mir plötzlich wieder ein seltsamer Laden ein: die Blei Bar in der Fehrbelliner Straße (Hausnummer 6, wenn ich mich nicht irre).

Als Landei war ich offenbar so schwer von der Blei Bar beeindruckt, dass ich einen kleinen Text darüber schrieb. Weil das schon auf einem Computer passierte (der meinem Mitbewohner gehörte und auf dem übrigens noch kein Windows lief), entstand dieser Text bereits digital. So hat er sich in meinem von Rechner zu Rechner stets mitgezogenen Datenbestand bis heute erhalten:

„Die Blei Bar befand sich im Erdgeschoß eines ansonsten wohl leerstehenden Ziegelbaues aus der Gründerzeit, von dem – wie in diesem Viertel üblich – die Zementfassade gleich in Stücken von halben Quadratmetern abfiel. Alle Fenster waren verammelt, nur neben der abgestoßenen Haustüre glomm ein schwaches, zinnoberrotes Licht hinter einer blinden Opalglasscheibe, die mit kleinen eingeschliffenen Sternchen gemustert war. Auf die Scheibe hatte jemand kaum sichtbar und linkisch mit taubenblauem Lack aufgesprüht: Blei Bar. Aber das konnte man eigentlich erst lesen, wenn man schon wußte, was es heißen sollte.

Der Hausflur war stockdunkel, nach links führte ein schwach erleuchteter Gang ab, der an einer Tür endete. Schon hier war die Musik ohrenbetäubend. Denn hinter einem groben Mauerdurchbruch links vor der Tür lag die Bar: ein vollkommen kahles Zimmer von vielleicht sechs Metern im Quadrat, das eine Theke aus Stahlblech, fünf Barhocker, ein Sperrmüllsofa und eine Musikanlage enthielt. Auf dem einen Ende der Theke stand eine weinflaschenhohe Glühbirne mit gewendelten schwarzen Plastikfuß, deren Glühfaden die Form eines Edelweiß hatte. Das andere Ende der Theke zierte eine dreidimensionale Uhr mit Zeigern aus bunten Plastikfäden und Flitterbüschen, von unten beleuchtet, das ganze unter einer Art pyramidenförmigen Plexiglassturz gefangen. Auf der Theke standen sonst noch ein paar Bierflaschen und ein Diaprojektor. Der warf ein gemaltes Bild an die Wand: Jemand (der vielleicht noch ein Kind war) hatte auf blaue Folie ein seltsames Tier mit Hörnern gekrakelt und daneben „Kuh“ geschrieben. Über dem Sofa war mit roter Farbe eine Spirale von etwa zwanzig Zentimetern Durchmesser auf die Wand gepinselt, als hätte die Wand voll werden sollen, aber die Lust hatte nicht dafür gereicht. Ansonsten gab es überhaupt nichts: Mehr Details berichten hieße Kippen und Kronenkorken auf dem Boden zählen.

Morgens um drei, als wir in die Blei Bar kamen, waren dort fünf Leute. Einer beschäftigte sich mit der Musikanlage, die in in Presslufthammerlautstärke pulsierte. Zwei standen an der Theke und spielten Domino.  Einer hing am Fenster, hatte eine Postuniform an und hielt ein Weizenglas in der Hand. Am Diaprojektor fummelte ein blondes Mädchen in Kittelschürze herum, die eine blaue Sonnenbrille und eine hohe Ballonmütze aus rotem, steifen Filz trug. 

Die Toilette lag auf der anderen Seite des Flures und hatte eine zwei Meter breite Holztür, die jeweils ein Schild „Damen“ und „Herren“ trug. Der Raum war größer als die Bar selbst, enthielt aber nur eine einzige Schüssel, die in eine Ecke geflohen zu sein schien. Es gab noch ein Waschbecken mit einem Spiegel darüber, an dem ein Strauß trockner Rosen hing. Das Ganze erhellte eine Glühbirne, die in zwei aneinandergeschraubten Trabi-Rücklichtern steckte.“

Heute bekommt man nicht mehr viel raus über die Blei Bar. Im Internet hat sie jedenfalls keine direkten Spuren hinterlassen, denn das Netz gab es 1993 eben noch nicht. Immerhin habe ich dort ein Foto gefunden. Es stammt von der Fotografin Eva Otaño Ugarte und es wurde offenbar 2010 in einer Ausstellung gezeigt. Da gab es das Internet schon, und deshalb ist das Bild auch hier zu sehen:

Wo auf dem Bild links vorne der Schaukelstuhl steht, befand sich in meiner Erinnerung (die sich vor allem auf den Text oben stützt) das Sofa. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich die Bar alleine nach dem Foto gar nicht wiedererkannt.

Eigentlich ist es Glück und Zufall, dass von der Blei Bar überhaupt ein Foto existiert. Damals hatte eigentlich niemand eine Kamera dabei. Man hatte auch kein Telefon dabei. In einem Club wie der Blei Bar konnten sich eigentlich alle sicher sein, weder angerufen noch fotografiert zu werden.

Keine Angst – es folgt hier jetzt kein Lamento, dass früher alles besser war, weil man damals ach so wilde Dinge tun konnte, ohne fürchten zu müssen, dass am nächsten Morgen das ganze Netz davon weiß. (So wild war das Leben damals auch nicht, jedenfalls meins nicht). Nein, im Gegenteil: Ich finde es schade, dass ich vor zwanzig Jahren eigentlich nie eine Kamera dabeihatte; es sei denn, ich zog vorsätzlich los, um Fotos zu machen.

Heute ist das anders – und ich finde es toll.

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Alles, woran ich mich später erinnern möchte, kann ich jetzt mal eben schnell mit meinem Telefon fotografieren. Das sind heute nicht mehr so oft Szenen aus der Kneipe, immer öfter hingegen Poster, Plakate, Graffiti, Lichtsituationen. So fiel mir zum Beispiel neulich ein Plakat mit einem wunderschönen Hintergrundmotiv auf. Ich habe den Bildnachweis fotografiert, hatte dann den Namen des Künstlers, konnte den googeln und fand das Bild wieder: les mondes engloutis (= die verlorenen Welten) von Tom Haugomat:

Klar, im Prinzip wäre das auch früher gegangen, ich hätte mir vor zwanzig Jahren den Namen des Grafikers einfach aufschreiben können. Nur: Was hätte ich dann damit angefangen? Wie hätte ich jemals mehr über ihn herausfinden können, mehr Bilder von ihm zu Gesicht bekommen können, von einem Illustrator im fernen Paris, in den Zeiten vor dem Internet?

Ich kann mich daran erinnern, dass ich in der Blei-Bar-Zeit mal in einer Berliner Hinterhofgalerie-Ausstellung eine Radierung sah, ein Porträt, das mich sehr faszinierte. Es sollte zwar keine hundert Mark kosten, aber soviel Geld hatte ich damals nicht. Vielleicht habe ich mir sogar den Namen des Künstlers oder der Künstlerin irgendwo aufgeschrieben und den Zettel dann verlegt, später mal wiedergefunden, die Verbindung zum Bild nicht mehr hergestellt und ihn dann weggeworfen. Wie auch immer das war, mir bleibt nur die Erinnerung daran, dass ich mal ein solches Bild gesehen habe – die Erinnerung an das Bild selbst ist längst verblasst, genauso wie die Erinnerung an die Paraphrase darauf, die ich davon mal selbst gemalt und anschließend verschenkt habe…

Besser, ich schreibe solche Notizen heute gleich ins Internet. Denn es heißt ja immer: Das Internet vergisst nichts. Das könnte ja auch mal seine guten Seiten haben.

Mini-Me – ich in 3D

Es gibt mich jetzt auch in klein – knapp 20 Zentimeter hoch, im Maßstab von etwa 1:9, aus gefärbtem Gips in 3D gedruckt. Sowas kommt vor, wenn man bei einer großen Computerzeitschrift arbeitet und – um darüber zu berichten – ab und zu auch mal Dinge ausprobiert, die sich nach Science-Fiction anhören.

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Diese Figur von mir hat der Berliner 3D-Scanner-Hersteller und Druckdienstleister Botspot freundlicherweise eigens für den Artikel angefertigt. Mein Kollege und ich sind nach Berlin gefahren, zum Botspot-Geschäft im Materialkaufhaus Modulor am Moritzplatz, um 3D-Scans von uns machen zu lassen. Der Scan funktioniert dort über Fotogrammetrie, ein Verfahren, das ursprünglich aus dem Landvermessungswesen kommt. Bei Botspot sind dafür in einem speziellen Raum über 60 Spiegelreflexkameras montiert, die alle zeitgleich ausgelöst werden und die Person in ihrer Mitte aus lauter unterschiedlichen Blickwinkeln aufnehmen. Aus den Fotos berechnet dann eine spezielle Software das 3D-Datenporträt.

Das Ganze fühlt sich erstmal so ähnlich an wie ein Fototermin für ein Bewerbungsbild: Man verabredet mit dem Fotostudio eine Zeit, überlegt sich, was man anzieht, denkt noch mal über die Haare nach (falls man mehr davon hat als ich) und macht sich schließlich auf den Weg. Im Studio wird man freundlich empfangen, fühlt sich aber doch nicht so gelöst wie gewünscht, wenn die Kamera auf einen gerichtet ist. Dann werden ein paar Aufnahmen gemacht – bitte recht freundlich –, man sieht eine Vorschau auf dem Bildschirm, nickt die Aufnahme ab und verabschiedet sich. Das ist alles mäßig aufregend, aber nicht unbedingt neu.

Umso seltsamer ist allerdings der Moment, an dem ein paar Tage später ein kleines Paket ankommt. In dem Paket ist ein Schaumstoffklotz, in dem Schaumstoffklotz ist eine Höhlung und in der Höhlung liegt eine irritierend realistische Miniatur seiner selbst. Ich kann mich daran erinnern, dass es ähnlich komisch war, als Kind zum ersten Mal auf einer Kassettenaufnahme die eigene Stimme zu hören. Oder die erste Video-Aufnahme: Man schaut aus der Perspektive eines anderen Menschen auf sich selbst, aus Blickwinkeln, die man im Spiegel nie zu sehen bekommt, dazu bewegt sich das Bild und man hört sich vielleicht auch noch selbst reden. Die eigene innere Wahrnehmung wird mit der scheinbar objektiven Wahrnehmung des Videos konfrontiert.

Von ganz ähnlicher Qualität ist die erste Begegnung mit dem geschrumpften Ebenbild aus Gips. Nein, man hat keine Phantomschmerzen, wenn jemand die Figur mit einem Zahnstocher piekt, und ich bekomme auch keinen Muskelkater davon, wenn ich das Foto oben länger anschaue (so ein auf die rund zehnfache Größe aufgeblasener Bleistift würde sicher ein paar Kilo wiegen…). Aber solche fotorealistischen 3D-Figuren sind eine neue Darstellungsform, mit der man erst mal einen Umgang finden muss – so wie sich vor ein paar Generationen Menschen an die damals neue Porträtfotografie gewöhnen mussten, die Bildnisse stets nur als Gemälde und Zeichnungen kannten (die zudem nur den Reichen und Vornehmen vorbehalten waren).

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Derzeit fühlt sich ein solcher 3D-Scan mit folgendem 3D-Druck wie etwas an, was man vielleicht nur einmal im Leben macht – so wie man das im 19. Jahrhundert vielleicht vom Fotoporträt dachte. Deshalb habe ich für meinen Scan auch mein Lieblings-Ringelhemd angezogen. Und mich entschieden, den 3D-Raum ohne Schuhe zu betreten – weil ich mich so wohlfühle. Womit ich nicht gerechnet habe: Dass meine Figur barfuß ist, scheint manche meiner Bekannten mehr zu irritieren als die Tatsache, dass es mich jetzt zweimal in zwei verschiedenen Größen gibt.

Mehr Bilder fürs Netz – und ganz legal

Na, das ist mal ein Ding: Die Getty Collection stellt Bloggern ihre Bilder zum Einbetten zur Verfügung – und zwar kostenlos. Jedenfalls für nicht kommerzielle Zwecke (bei aller Unschärfe dieses Begriffs).

ABER (1): Diese Regelung gilt nicht für alle Bilder aus der Sammlung, sondern nur für bestimmte.

ABER (2): Getty Images behält sich vor, die Darstellungen jederzeit zu entfernen. Das geht, weil man die Bilder nicht herunterladen und auf seinem eigenen Speicher zwischenpuffern kann, sondern nur über einen Codeschnipsel einbindet.

ABER (3): Getty kann und darf laut Nutzungsbedingungen (über den eingebetteten Code) auch Daten sammeln und Werbung einblenden.

ABER (4): Die spezielle Suche für Bilder zum Einbetten liefert auch manche Treffer, für die es gar keinen entsprechenden Code gibt. Sein Blog-Post mit einem passenden Bild zu illustrieren, kann also etwas Aufwand bedeuten.

Ich bin hin- und hergerissen: Einerseits besitzt Getty eine irrsinnige Sammlung an Fotos, gerade auch mit etlichen historischen Bildern, mit denen sich dickleibige und sehenswerte Bildbände über die Geschichte des Fotojournalismus füllen lassen. Die Vorstellung, all dieses Material (na gut – einen Teil davon) einfach so im redaktionellen Kontext benutzen zu können, ist schon toll. Doch da sind die oben ausgeführten ABER (1–4).

Ehrlich gesagt: Mich nervt zur Zeit (da von Werbung noch nichts zu sehen ist), das vierte ABER am meisten. Schon jetzt. Es hat eine halbe Stunde gedauert, bis ich endlich ein Bild als Beispiel gefunden habe, was in dieses Blog passt, was mir gefällt und was sich einbetten lässt. Hier ist es: Computerei so um 1950.

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Pointillismus selbst gemacht

Bei den Evil Mad Scientist Laboratories kann man DIY- und Open-Source-Hardware für „Kunst, Unterricht und die Weltherrschaft“ kaufen – beispielsweise den Bausatz eines Stiftplotters, der Eier bemalt (gibt es auch in einer größeren Ausführung für Straußeneier und ähnlich voluminöse Rundkörper). Manches bekommt man von den Laboratories aber auch geschenkt, zum Beispiel die wunderbare Software StippleGen 2.

Das Programm lädt ein beliebiges Bild und setzt es in ein Muster verschieden großer Punkte um – zur Wahl stehen weiße Punkte auf schwarzem Grund oder schwarze Punkte auf weißem Grund. Die Punkte sind anders als beim klassischen Klischee nicht in einem festen Raster angeordnet, sondern ihre Position wird im Lauf von einigen Durchläufen des Programms mit Hilfe eines Voronoi-Diagramms optimiert.

Das Programm ist innerhalb meines Lieblings-Software-Biotops Processing entwickelt worden. Da die Evil Mad Scientists ihre Anwendung auch noch unter eine Open-Source-Lizenz gestellt haben, kann sich jeder den Code herunterladen, in Processing öffnen und nach eigenem Bedarf verändern. Die Software läuft aber auch als eigene Anwendung unter Windows, Mac OS X und Linux, sodass man sie einfach so benutzen kann, auch wenn man Processing selbst gar nicht installiert hat.

Nach dem Start fängt StippleGen 2 sofort an zu arbeiten. Als erste Vorlage dient ein mitgeliefertes Foto von Grace Kelly (nein, das sieht man nicht oben im Screenshot). Diesen Vorlauf kann man stoppen und statt dessen ein Bild von der eigenen Festplatte laden. Dann stellt man Parameter wie die Zahl der Punkte und die Spanne zwischen ihrer minimalen und maximalen Größe mit Schiebereglern ein und lässt das Programm so viele „Generationen“ durchrechnen, bis das Ergebnis gut aussieht.

Das Ergebnis kann man als SVG-Datei speichern und zum Beispiel in Inkscape öffnen. Im SVG-Layout ist die Seitengröße zwar mit etwas skurrilen 3200 × 800 Pixeln angegeben, weil StippleGen 2 eigentlich dafür gedacht ist, Vorlagen für den oben erwähnten Eierplotter zu liefern. Das Format lässt sich aber nachträglich den eigenen Vorstellungen anpassen und das Bild auf jede gewünschte Größe aufziehen – ist ja schließlich Vektorgrafik. Mir geistern da gerade schon ein paar Ideen im Kopf herum, was man mit den schönen Punktmustern so alles anstellen könnte … wenn es klappt, wird davon hier zu lesen sein. Versprochen.

Google Street View – mit Abstand betrachtet

Heute ist es genau drei Jahre her, dass Google Street View in Deutschland online gegangen ist. Ich war seinerzeit beruflich mit dem Thema befasst, habe regelmäßig online und in der c’t darüber berichtet und auch in zwei Editorials zur gesellschaftlichen Diskussion rund um Street View meine Meinung dazu gesagt: Vorab im Text „Fotowilderei“ [PDF], kurz nach dem Start in „Die Zweiteilung der Welt“ [PDF]. Ich gebe zu, dass mir seinerzeit die Diskussion um den Panoramadienst und am Ende auch das Thema selbst gehörig auf den Wecker ging. Damals habe ich Street View eigentlich nur im Browser geöffnet, um Screenshots davon für meine Artikel zu machen.

Heute benutze ich Street View viel öfter – als Archiv. Denn es ist erstaunlich, was sich in den wenigen Jahren seit Googles Kamerafahrten alles verändert hat: Häuser wurden abgerissen, Baulücken geschlossen, Gebäude renoviert, Bäume gefällt. In Hannover ist sogar ein kompletter Kreisverkehr samt Platz in der Mitte verschwunden: In Street View ist er noch da, auf der Karte bereits weg:

Wie sah das Lindener Rathaus noch mal vor dem Umbau aus? Was für ein Geschäft war früher dort, wo Sven jetzt seinen Radladen hat? Was stand für ein Gebäude an der Stelle der großen Baugrube in der Innenstadt? Kein Problem, Street View zeigt es. Falls die weltweit von Google geschossenen Panoramabilder auch in fünfzig oder hundert Jahren noch zugänglich sind, werden sie ein Schatz für HistorikerInnen und SozialwissenschaftlerInnen sein. Denn sie zeigen flächendeckend den Alltag auf der Straße, ganz mechanisch aufgenommen, ohne jeden Gestaltungswillen, ohne viel Auswahl, ohne dass ein Fotograf die scheinbar banalen, hässlichen und langweiligen Aufnahmen aussortiert hat. Ein paar skurrile Stellen hat zum Beispiel Peter Glaser in seinem alten Glaserei-Blog bei der Stuttgarter Zeitung versammelt (die aber leider inzwischen nicht mehr online sind). Es geht aber auch deutlich unspektakulärer: In Småland zum Beispiel kann man Dutzende von Kilometern am Rechner auf Landstraßen durch endlose Wälder fahren. Warum auch immer.